31Januar
2020

Heimwärts

Ich bin früh wach, wie eigentlich fast jeden Tag in den letzten beiden Monaten. Es gibt Kaffee, ich checke die Zeitungsberichte und Abflüge an den Flughäfen. Sieht gut aus. Aus Deutschland trudeln noch Nachrichten ein, ob ich denn rauskäme? Ich zähle weiter Stunden.

 

Ich muss vormittags noch mal schnell zur Sprachschule, um etwas abzuholen. Die Tür im Erdgeschoss ist von innen verschlossen, klopfen hilft auch nicht. Also schicke ich meiner Lehrerin eine Nachricht, die wiederum eine weiterschickt um mir dann mitzuteilen, dass gleich jemand käme. Kurz darauf kommt Ayi an, wieder sichtlich panisch. Sie klingelt an der Klingel neben der Tür. Unglaublich, die habe ich echt nicht gesehen. Eine Frau kommt und macht auf. Ayi meint, ich solle draußen warten. Wie nett. Ich gehe trotzdem rein. Ayi kommt kurz darauf wieder, hält mir noch einen Vortrag und verabschiedet sich dann.

 

Ich sammle meinen Müll zusammen und verfrachte ihn ihn Plastiktüten. Es gibt noch einmal Nudelsnack mit Resten zum Mittagessen. Und insgesamt drei Bananen, die ich noch aufessen muss. Kulinarischer Hochgenuss sieht anders aus. Ich spül es mit Cola runter, der Kaffee ist jetzt leer. Mein Koffer liegt auf dem B(r)ett, die Liste sagt dreiundzwanzig Kilo und dann packe ich noch ein bisschen Kram dazu, den ich nicht gewogen habe. Das sollte hinhauen.

 

Mir bleibt noch etwas Zeit. Ich mache eine Runde Sport und im Vergleich zu den letzten Tagen läuft es heute tatsächlich wieder ganz gut, ganz rund, recht konzentriert. Vielleicht fällt doch schon der erste Stress von mir ab? Ich mache meine dritte Mütze fertig. Dann besorge ich noch zwei Packungen Oreos mit Matchaeisgeschmack. Die kommen auch noch in den Koffer. Klick, klack, Schloss zu.

 

Ich lege den Schlüssel auf den Tisch und ziehe die Tür hinter mir zu. Trage den Koffer runter, ziehe ihn über den vereisten Boden zur Hauptstraße. Ich winke mir ein Taxi heran. Ob er zum Flughafen fahre, frage ich. Es wird eine ruhige Fahrt, nur kurz unterbrochen von einem Anruf. Er sei auf dem Weg zum Flughafen, erzählt der Fahrer (s)einer Frau. Mit einem Gast, der nach Hause fliege. Hey, das bin ja ich. Ich hab‘s noch nicht ganz realisiert.

 

Am Flughafen heißt es hinter einer Absperrung Schlange stehen. Hinter einem Tisch sitzen drei Personen, die Mundschutz und Haube tragen und auf einen Monitor starren. Irgendwann dürfen wir weiter, dem Mann vor mir hält jemand ein Thermometer an den Kopf. Ich checke meinen Koffer ein. Dreiundzwanzig Komma acht Kilo. Passt. Ab Peking gibt‘s keinen Gangplatz mehr. Mist. Ich habe massig Zeit und schau mir noch mal an, was die da hinter dem Tisch eigentlich so machen. Irgendwie nichts. Sie haben wohl so eine Art Richtthermometer, aber in erster Linie lassen sie Leute in der Schlange warten. Mit mir im Rücken werden sie etwas unruhig. Mir ist das hier aber auch nicht so wohl.

 

Ich gehe zur Sicherheitskontrolle. Man kann in einer Vitrine bestaunen, was Leute schon so alles im Handgepäck mitnehmen wollten. Inbus, Hammer, Sechskantschlüssel. Besonders gut gefällt mir der drei-Liter-Kanister Pflanzenöl. Erst noch eine Temperaturkontrolle. Dann das übliche Prozedere. Sie tasten meine Schuhe ab. An meinen Füßen. Der Kerl hinter mir hat sein Aftershave nicht eingecheckt und muss jetzt eine Karte ausfüllen. Ich drehe eine Runde über den Flughafen. Auf dem Klo gibt‘s keine Seife. Hauptsache Maske auf! Hunger treibt mich zu McDonald‘s. Einmal Pommes, bitte. Bonnummer 13125. Ich muss grinsen. Und noch einmal extra Ketchup, bitte. Die Reinigungsdame fragt, wann mein Flug ginge. Und wohin. Sie lächelt. Ich soll mich doch bitte nach vorn setzen, sie mache da hinten jetzt zu.

 

Am Gate steht ein Mann mit Schwimmbrille und Einmalhandschuhen, wie zum Haarefärben, und telefoniert. Ich glaube, er merkt, dass ich ein Foto von ihm machen will. Aber das ist mir jetzt auch egal, das mache ich trotzdem.

 

Der Flieger ist ziemlich voll, gut zwei Stunden geht es in Richtung Süden. Es kommt mir so wie vor einer halben Ewigkeit vor, als ich den Weg in die andere Richtung angetreten habe. Wegen des Coronavirus‘ sei die Bordverpflegung umgestellt worden, plärrt es aus den Lautsprechern. Es gibt belegte Sandwichs. Heute ein vegetarisches für mich, extra markiert. Mit Ei und Käse und Mayo und Essiggurke. Das Ei schubse ich auf die Frischhaltefolie, der Rest schmeckt auch so bescheiden genug. Unterwegs gibt‘s noch eine Runde Temperaturkontrolle. Und wir müssen alle ein Formular ausfüllen. Was ist denn machen soll, wenn ich umsteige, will ich wissen, weil ich keine Adresse in Peking angeben kann. Umsteigen reinschreiben, lautet die Antwort. Kann ich auch auf englisch tun, aber da habe ich die Zeichen schon hingekritzelt.

 

Der Platz neben mir ist frei, der Kerl am Fenster pennt. Er will weder Sandwich noch Wasserfläschchen, Temperatur messen schaffen sie auch so. Ich vergrabe mich hinter Häkelnadel und Wollknäul. Etwas zum Festhalten dabei zu haben ist nicht schlecht, auch wenn es nur ein alberner Versuch mir lauter Kleinteilen ist. Blöderweise habe ich alle Tüten entsorgt. Also bediene ich mich an den Kotztüten vor mir. An der Perforierung knicken, abreißen, einreißen, zerreißen. Ein Blick über den Gang, die Frau auf der anderen Seite lacht jetzt auch. Ich zucke die Schultern verschwörerisch, stecke die kaputte Tüte zurück und versuche mein Glück an der nächsten.

 

Wir landen. Ich steige aus. Kontrolle. Mit dem Shuttle geht es zum anderen Terminal. Noch eine Kontrolle. Schlage stehen. Ausreisestempel. Weitergehen. Sicherheitskontrolle. Mein Rucksack muss zweimal durch den Röntgenapparat. Die Frau am Monitor beugt sich nach vorn und murmelt dann irgendwas von Stift. Ich darf ihn mitnehmen. Eine Frau trägt ihr Kleinkind auf dem Arm und hat eine riesengroße Plastiktüte über sich und das Kind gezogen. Vor dem Trinkwasserautomaten bildet sich eine Schlange. In den Geschäften ist kaum jemand. Ich gehe in Richtung Gate. Es ist seltsam ruhig, trotz aller Geschäftigkeit.

30Januar
2020

Unzugänglich

Donnerstagmorgen. Ich habe noch ein bisschen Kaffeepulver und das muss bis morgen reichen. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass ich noch 500g leermachen würde, als ich es vor ein paar Tagen gekauft habe, aber nun, wo ich fast nur zu Hause bin, geht es fast schneller zur Neige als mir lieb ist. Die Nudelsnacks dürften gerade so reichen, für heute sind auch noch Nudeln von gestern übrig.

 

In meinem Schrank räume ich Sachen von einem Fach ins nächste, vom noch-nicht-gewogen-Fach über die Waage ins schon-gewogen-Fach. Alles kommt auf eine Liste. Sieben Kilo Bücher, das geht eigentlich. Sieben Kilo Luft nach oben habe ich vom Hinflug, und ich nehme nicht alles mit zurück, was ich mitgebracht habe. Regelmäßig checke ich die Nachrichten. Lufthansa stellt die Verbindungen von und nach China laut der Nachrichten ebenfalls ein. Das macht mich unruhig. Die Inlandsflüge finden aber fast alle statt. Ich zähle weiter Stunden.

 

Ich gehe raus. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, es ist weiterhin vergleichsweise warm. Ich will auf das Unigelände, doch das Tor, durch das ich sonst meist gehe, ist verschlossen. Auch zur Verwunderung des Chinesen, der von innen kommt und heraus will. Das nebenan ist noch offen, also nehme ich das. Ich gehe in Richtung Flüsschen, dann nach rechts weiter an ihm entlang. Heute begegnet mir kaum jemand. Als ich mich einem anderem Tor nähere, stehen dort gerade ein Auto mit Blaulicht und einige Personen in Uniform. Sieht so aus, als ob sie das Gelände jetzt komplett abriegeln. Ich verlasse den Campus und gehe heim.

 

Ich packe weiter. Abends gehe ich noch einmal raus, besorge noch was zu trinken. Als ich an einem Laden vorbeikomme, entdecke ich ein Schild, das Kunden auffordert nur mit Masken einzutreten. Nebenan steht, in einer Nische, ein Automat mit Kondomen und Sexspielzeug. Der ist mir noch nie aufgefallen. Er ist vierundzwanzig Stunden pro Tag zugänglich. Ob mit oder ohne Maske interessiert ihn nicht.

29Januar
2020

Beschäftigungstherapie

Ich nutze den Morgen für Sport. Was soll ich sonst auch machen? Und einen Spaziergang in der Sonne mache ich auch. Heute wirken die Leute wieder etwas entspannter auf mich, man sieht kaum mehr Menschen ohne Mundschutz herumlaufen. Auf dem zugefrorenen Flüsschen sind zwei Hundebesitzer mit ihren Hunden unterwegs. Im Supermarkt sehe ich auch Eltern mit ihren Kindern, was in meinen Augen durchaus ein Zeichen dafür ist, dass nicht alle total angespannt sind. Die Preise sind hier auf dem üblichen Niveau, von Hamsterkäufen keine Spur, nur Desinfektionsmittel und Mundschutz sind weiter ausverkauft. Aber es gibt inzwischen auch Schutzbrillen zu erwerben. Dafür wirbt zumindest die Apotheke die Straße runter.

 

Mittags fange ich an meinen Koffer zu packen und alles einzeln mit der glücklicherweise vorhandenen Küchenwaage abzuwiegen. Beschäftigungstherapie. Schicke ein paar Geburtstagsgrüße an meine frühere Austauschpartnerin nach Russland und hoffe, dass sie nicht so einen spaßbefreiten Geburtstag verbringen muss. Gute Russischkenntnisse hätten hier sicherlich auch ihren Nutzen gehabt.

 

Die ersten Airlines stellen die Verbindungen nach China ein. Deutschland will seine Landsleute aus Hubei ausfliegen. Ich besorge mir noch was zu trinken und gehe dann spontan beim Uiguren einen Teller Nudeln mit Gemüse essen. Viel mehr Auswahl gibt es nicht.

28Januar
2020

Sterneküche

Ich mache morgens Sport und während ich unter der Dusche stehe, hämmert jemand wie blöd an die Tür, so dass sie klappert und dröhnt und in den Angeln zu wackeln scheint. Das jagt mit den Puls ordentlich hoch und daran merke ich auch einfach ganz deutlich, dass meine Nerven so langsam ziemlich blank liegen und ich nicht so cool bin, wie ich das momentan eigentlich gerne wäre. Nach einiger Zeit der Hämmerei setzt sich das Spiel an der nächsten Tür fort. Im Geschoss unter mir wird schließlich geöffnet. Ich verstehe durch die Tür kein Wort, aber es ist die alte Dame und es hört sich sehr danach an, als würde sie den Klopfer gerade ordentlich zur Sau machen.

 

Mittags gibt‘s wieder Nudelsnack mit Erdnussbutter, Tomaten und Karottenstreifen. Ich fürchte, ich bekomme die Packung doch noch leer. Aus der Heimat erreicht mich ein Video mit Übungen im Stil von lustigen Tiergangarten, die bestimmt alle fürchterlichen Muskelkater machen. Ich will lieber ein bisschen das Murmeltier sein und nachts mal wieder besser schlafen. Ich bestelle für das Wochenende schon mal Pizza und fange an Stunden zu zählen.

 

Unten an der Tür hängt ein neuer Zettel mit Verhaltenshinweisen, was man im Falle von Fieber zu tun habe. Ohne Kontakt zu Personen aus Hubei solle man sich in eines der 72 Krankenhäuser begeben. Am Rande, in China geht man immer direkt ins Krankenhaus, so etwas wie niedergelassene Ärzte gibt es in dem Sinne nicht. Nur bei Kontakt zu Leuten aus Hubei solle man gleich eine Hotline anrufen. Und grundsätzlich bitte nicht in Panik geraten.

 

Abendessen gibt es bei McDonalds. Ich bestelle ein Portion Pommes, einen Salat und eine Ananastasche. Um den Salat in der Kasse zu registrieren, braucht es drei Angestellte. Das kann ja heiter werden. Der Salat kommt mit unreifer Tomatenscheibe oben drauf und Sesamsoße, was ganz lecker sein könnte, wäre es kein Mayoverschnitt. Egal. Die Pommes sind kalt und lätschig. Ich beschwere mich. Tschuldigung. Es gibt gleich neue. Ob ich die alten trotzdem wolle? Nee, danke! Pommes ab. Die Ananastasche ist ok. Und ich bekomme neue Pommes.

27Januar
2020

Jetzt ist sie weg

Ich wache morgens alles andere als ausgeruht und entspannt auf. Ayi schickt eine Nachricht, ob ich mittags da sei. Sie käme vorbei, wegen Kaution und so. Das ist fünf Tage zu früh. Ober ok. Blöd nur, dass ich mit dem Geld jetzt gar nichts anfangen kann, ich kann es ja nirgends ausgeben.

 

Ich mache einen Spaziergang und als ich zurückkomme, ist meine Mitbewohnerin plötzlich da. Auch ein paar Tage zu früh. Wieso denn das? Sie wirkt panisch und erklärt, sie gehe zurück nach Hause, wegen des Virus‘. Jetzt ist mir auch klar, warum Ayi heute hier auftauchen wird. Und Ayi taucht auf. Sie ist mindestens genauso gestresst und panisch wie meine Mitbewohnerin. Meine Kaution bekomme ich ohne Zimmerinspektion zurück. Ich soll den Schlüssel dann einfach liegen lassen. Ayi ab. Meine Mitbewohnerin wurstelt in der Wohnung rum, irgendwann kommt ein weiterer Koreaner, die ihr beim Packen hilft, dann werfen sie die Hälfte ihrer Sachen weg und sauen den Gang ein. Ich verdrücke mich in mein Zimmer. Meine Mitbewohnerin verabschiedet sich. Jetzt ist sie weg.

 

Die Straßen sind wie leer gefegt, die meisten Geschäfte und Restaurants geschlossen. Ich vermag nicht ganz einzuschätzen, wie sehr das mit dem Frühlingsfest zusammenhängt, aber es ist gespenstisch. Ich fühle mich momentan sichtlich unwohl hier, wobei es nicht die Angst vor einer Ansteckung ist, die mich umtreibt, sondern sie Stimmung. Doch nach Einbruch der Dämmerung scheint sich die Lage etwas zu entspannen. Als ob der Virus nachts auch schlafe? Ich gehe in den kleinen Obstladen und kaufe Tomaten. Dort sind die Leute entspannt. Immerhin.

26Januar
2020

Ausverkauft

Ich setze meine Nudelsnackdiät fort. Ob sie doch noch leer werden? Mittags drehe ich draußen eine Runde. Man kann ja absolut nicht behaupten, dass das ein Ort sei, an dem man auf Menschenmassen träfe. Ich kaufe Klopapier und Ingwer. Im Supermarkt ist nichts los, von Wucherpreisen merke ich aber auch nichts. Mundschutz und Desinfektionsmittel sind ausverkauft, an der Apotheken hängen Zettel. Halb Hubei steht inzwischen unter Quarantäne. Und es gehen die ersten Gerüchte um, auch Peking sei bereits abgeriegelt. Die Busse sind leer, die Menschen tragen auch Mundschutz, wenn sie allein im Auto sitzen. Mir reicht es gerade. Die Stimmung ist gefühlt schlechter als gestern. Wahrscheinlich nervt mich aber auch das Rumsitzen. Innen drin, in einem überheiztem Raum. Das Internet stürzt auch ständig ab, ist vermutlich total überlastet.

25Januar
2020

Nudelsnackdiät

Frohes neues Jahr der Ratte! Tja, und viel passiert da nicht, an diesem Neujahrsmorgen. Ich gehe mittags mal eine Runde spazieren, es ist vergleichsweise warm und absolut tote Hose. Ich komme an einem Laden vorbei, auf dessen Schild ich ein Wort entdecke, das ich erst letzte Woche gelernt habe. Ich finde es spannend, wie sich die Welt auf diese Weise immer weiter vergrößert und wie mir immer wieder Sachen auffallen, die mir zuvor eben einfach entgangen sind. Ein kleiner Supermarkt ist geöffnet, der Lautsprecher davor plärrt in Dauerschleife.

 

Ein Stück weiter ist ein Evakuierungsplatz. Also eigentlich eine gepflasterte Grünanlage mit Toilettenhäuschen und Sportgeräten, die für gewöhnlich nur von älteren Herrschaften genutzt werden. Laut Plan gibt es auch noch einen Platz für Zelte, ich frage mich nur wo? Ich gehe weiter, noch ein Stück am Flüsschen entlang durch den Sonnenschein und dann über das Unigelände zurück. Dort sind einige Familien mit kleineren Kindern, die wohl auch mal rausmüssen.

 

Nachmittags mache ich noch etwas Sport und ansonsten gibt‘s Nudelsnackdiät. Die Rumsitzerei nervt. Die Stimmung nervt. An der Eingangstür klebt ein Zettel, man soll sich melden, wenn man Gäste aus Hubei hatte oder selbst in Hubei war.

24Januar
2020

Rote Laternen

Heute ist frei, der letzte Tag des Jahres. Ich starte gemütlich in den Tag. Zuerst will ich noch meine Getränkevorräte aufstocken, doch der kleine Supermarkt hat entgegen der Information von vor ein paar Tagen bereits geschlossen. So fahre ich dann am Vormittag in die Innenstadt, um mit mein Geld zurückzuholen. Angeblich macht das Skigebiet heute schon gegen Mittag zu. Tschuldigung. Das Geld bekomme ich anstandslos zurück.

 

Wenn ich jetzt schon in der Stadt bin, dann kann ich auch noch ein kleine Runde drehen. Die Sonne scheint und es ist nicht sonderlich viel los. In einem Supermarkt kaufe ich ein paar Getränke. Da ich, mal wieder, keinen Korb mitgenommen habe und wie immer an der Kasse stehe, von der die vor mit stehenden Leute noch ins Innere des Supermarkts zurückrennen müssen, um irgendwelche Einzelstücke von Waren zu holen. Denn da man die Neujahrsgroßpacks außen ja nicht mit Barcodes ausstatten kann und deshalb der Inhalt mittels Hilfsware so eingescannt werden wuss, zieht sich das alles hin. Sollte ich vielleicht einfach als Krafttraining verbuchen?

 

Ich gehe noch mal an der Sophienkathedrale vorbei, eine Runde um den Block und dann ab nach Hause. Das war‘s dann auch für den Tag. Ich geh früh ins Bett. Es ist erstaunlich ruhig. In einigen Balkonen, die ich von meinem Fenster aus sehen kann, hängen rote Laternen.

23Januar
2020

Schneeballschlacht

Endlich mal wieder gut geschlafen. Heute ist der letzte Schultag für dieses Jahr. Ich will mit Baozi kaufen, doch der Baoziladen hat schon zu, sie machen schon Ferien, und auch bis Februar. Schade. So gehe ich ohne Frühstück zur Sprachschule. Ich bin somit etwas zu früh dran. Es beginnt mit dem üblichen Diktat, wieder mal alleine, dann kommen noch zwei weitere an. Wir hecheln einerseits durch die Vokabeln und besprechen die Hausaufgaben nicht, um dann in den letzten paar Minuten wenigstens noch den Text zu Ende zu lesen. Andererseits macht die Lehrerin heute einen recht entspannten Eindruck, und da der Text eine Liebesgeschichte ist nimmt auch sie die Gelegenheit wahr, um über Heiratsanträge, Verlobung und Hochzeit zu sprechen. Einen Freund hat sie, aber der hat sie noch nicht gefragt. Das „leider“ schwingt schon ziemlich laut mit. Im Konversationskurs beginnen wir auch noch eine neue Lektion. Über das Reisen. Hach, wie schön, dazu hätte ich jetzt ja eigentlich auch Lust. Und dann diskutieren wir noch über Kühlschränke. Und wie kalt es da drin ist.

 

Nachmittags wurstelt meine Mitbewohnerin in der Wohnung herum. Sie hat Melone gekauft, die sie in der beschichteten Pfanne in Stücke schneidet. Ich biete ihr mein Brettchen an, aber sie meint, das ginge auch so. Ich finde das ja echt kreativ. Sie bietet mir auch was von der Melone an, bevor sie mir erzählt, dass sie heute bereits bei ihrer Freundin übernachte, um dann morgen nach Hangzhou und darauf nach Shanghai zu reisen. Wunderbar, dann bin ich sie schon einen Tag früher als eingeplant los. Ich helfe ihr auch gern mit ihrem Koffer an der Tür.

 

Ich fahre am Nachmittag ebenfalls los, aber nur in die Stadt. Als ich vor einem Reisebüro stehenbleibe, werde ich hineingebeten. Na gut, mal schauen, was es da gibt. Ich würde ja auch noch mal einen Tag Skifahren gehen. Von der Frau hinter dem Tisch lasse ich mir die Angebote erklären, ein Tag Skifahren kostet momentan 500 Yuan, ich soll doch lieber für 1150 Yuan über Nacht in so ein Schneedorf fahren und dann auf dem Heimweg aussteigen und auf eigenen Faust noch Skifahren. Es gäbe auch einen Schnellzug zurück, voll bequem und so. Und ich soll unbedingt das Gesamtpaket nehmen. Und da fährt man dann auch mit so einen Quad auf den Berg hoch. Sie zeigt mir ein Video, mir wird schon vom Zuschauen fast schlecht, und ich soll auch am besten gleich morgen los, zum Jahreswechsel, da ist auch voll was los! Als ich das höre, habe ich schon abgeschaltet. Bloß keinen Stress! Ich bedanke mich artig, stecke einen Flyer ein und gehe weiter.

 

Ein paar hundert Meter weiter ist das nächste Reisebüro. Ich frage mal, was das Skifahren kostet. 198 Yuan. Hm, naja, morgen noch was frei? Ja, na gut, dann probiere ich das jetzt aus. Ich könnte ja auch noch ins Schneedorf… Ja, super Film, danke, bestimmt voll was los, mutmaße ich. Total was los! Ich überlege es mir. Ich bezahle. Heute Abend soll sich der Reiseleiter melden und mir die Nummer des Nummernschildes des Busses mitteilen. Alles klar. Als ich das Reisebüro verlasse, kommt die Frau herein, die mich vor ein paar Minuten in das andere gebeten hat. Alles klar...

 

Ich gehe noch einkaufen, damit ich morgen Abend versorgt bin, und nehme dann den Bus nach Hause. Eine ältere Dame rückt ganz von sich aus zur Seite, um mich hinsitzen zu lassen. Ich packe meinen Ausflugsflyer aus und lese mal das Kleingedruckte. Wird wohl noch was extra kosten, naja, was soll‘s. Sie liest mit, lacht und meint, Schneeballschlacht, das klingt super! Das mache bestimmt Spaß!

 

Als ich zu Hause ankomme, erhalte ich eine Nachricht. Der Ausflug findet doch nicht statt, das Geld gibt es morgen zurück. Erst bin ich genervt und auch etwas enttäuscht, aber so unrecht ist mir das mit der Zeit dann auch wieder nicht. Wuhan ist abgeriegelt.

22Januar
2020

Einkaufszentrum

Heute Morgen habe ich Hunger. Das kommt nicht so oft vor, könnte aber am ausgefallenen Abendessen liegen. Ich mache mir einen Nudelsnack warm. Irgendwie muss ich die ja noch loswerden, die letzten neun von zehn. Dafür sehe ich eigentlich total schwarz. So gehe ich heute nicht im Baoziladen vorbei.

 

Im Unterricht rasen wir weiter durch die Vokabeln. Und da wir ja einen schnulzigen Text lesen, gibt‘s schnulzige Inhalte und über die schnulzigen Inhalte kommen wir dann irgendwie auf Homosexualität zu sprechen. Die Lehrerin meint, früher sei das in China ja viel strenger gewesen als heute. Mit früher meint sie die Kaiserzeit. Aber unangenehm ist ihr das Thema doch ganz sichtlich. Also beenden wir es lieber ganz schnell.

 

Nach den ersten beiden Stunden gehe ich ein Stockwerk weiter nach oben zum Konversationskurs. Da trudeln auf einmal Nachrichten der anderen Lehrerin ein. Eine Karte mit vom Ausbruch des Corona-Virus betroffenen Provinzen, Infektionen und Todesfälle, Verhaltensregeln. Der Konversationskurs wird in den größeren Raum verlegt. Also wieder nach unten. Die Lehrerin geht nicht ins Kino, wegen der Ansteckungsgefahr. Die Karten kann man nicht zurückgeben.

 

Am frühen Abend fahre ich zu einem Einkaufszentrum, das ich vom Bus aus gesehen habe. Ich hoffe, dass es da was zu essen gibt, denn bei mir in der Nachbarschaft ist ja so gut wie alles bereits geschlossen. Klar, wenn die Hauptkundschaft, Studierende vom Campus nebenan, fast komplett weg ist.

 

Im Einkaufszentrum gibt es sogar C&A und H&M und allerhand andere Läden gibt es natürlich auch noch. Ich gehe in einen Buchladen. Ein Frau will mich zu den englischen Büchern schicken, ein Verkäufer will mir helfen. Ich kauf nichts, ich habe schon genug, aber Buchläden machen mir Spaß. Im Obergeschoss sind innen Grünanlagen und Terrarien angelegt und es gibt eine ganze Reihe an Restaurants. Ich bin eigentlich längst schon wieder über den Punkt und brauche ganz dringend was zu essen, kann mich aber nicht entscheiden und bekomme recht miese Laune. Letztlich gehe ich zum Uiguren, bestelle Tofu, den es nach etwas hin und her auch vegetarisch gibt, Spinatsalat und Naan. Und eine Kanne heißes Wasser. Das ist gut.

 

 

Mit dem Bus geht es heim. Ich bin fertig. Kein Sport, nur eine heiße Dusche und dann ab unter die Bettdecke.