Berichte von 01/2020

31Januar
2020

Heimwärts

Ich bin früh wach, wie eigentlich fast jeden Tag in den letzten beiden Monaten. Es gibt Kaffee, ich checke die Zeitungsberichte und Abflüge an den Flughäfen. Sieht gut aus. Aus Deutschland trudeln noch Nachrichten ein, ob ich denn rauskäme? Ich zähle weiter Stunden.

 

Ich muss vormittags noch mal schnell zur Sprachschule, um etwas abzuholen. Die Tür im Erdgeschoss ist von innen verschlossen, klopfen hilft auch nicht. Also schicke ich meiner Lehrerin eine Nachricht, die wiederum eine weiterschickt um mir dann mitzuteilen, dass gleich jemand käme. Kurz darauf kommt Ayi an, wieder sichtlich panisch. Sie klingelt an der Klingel neben der Tür. Unglaublich, die habe ich echt nicht gesehen. Eine Frau kommt und macht auf. Ayi meint, ich solle draußen warten. Wie nett. Ich gehe trotzdem rein. Ayi kommt kurz darauf wieder, hält mir noch einen Vortrag und verabschiedet sich dann.

 

Ich sammle meinen Müll zusammen und verfrachte ihn ihn Plastiktüten. Es gibt noch einmal Nudelsnack mit Resten zum Mittagessen. Und insgesamt drei Bananen, die ich noch aufessen muss. Kulinarischer Hochgenuss sieht anders aus. Ich spül es mit Cola runter, der Kaffee ist jetzt leer. Mein Koffer liegt auf dem B(r)ett, die Liste sagt dreiundzwanzig Kilo und dann packe ich noch ein bisschen Kram dazu, den ich nicht gewogen habe. Das sollte hinhauen.

 

Mir bleibt noch etwas Zeit. Ich mache eine Runde Sport und im Vergleich zu den letzten Tagen läuft es heute tatsächlich wieder ganz gut, ganz rund, recht konzentriert. Vielleicht fällt doch schon der erste Stress von mir ab? Ich mache meine dritte Mütze fertig. Dann besorge ich noch zwei Packungen Oreos mit Matchaeisgeschmack. Die kommen auch noch in den Koffer. Klick, klack, Schloss zu.

 

Ich lege den Schlüssel auf den Tisch und ziehe die Tür hinter mir zu. Trage den Koffer runter, ziehe ihn über den vereisten Boden zur Hauptstraße. Ich winke mir ein Taxi heran. Ob er zum Flughafen fahre, frage ich. Es wird eine ruhige Fahrt, nur kurz unterbrochen von einem Anruf. Er sei auf dem Weg zum Flughafen, erzählt der Fahrer (s)einer Frau. Mit einem Gast, der nach Hause fliege. Hey, das bin ja ich. Ich hab‘s noch nicht ganz realisiert.

 

Am Flughafen heißt es hinter einer Absperrung Schlange stehen. Hinter einem Tisch sitzen drei Personen, die Mundschutz und Haube tragen und auf einen Monitor starren. Irgendwann dürfen wir weiter, dem Mann vor mir hält jemand ein Thermometer an den Kopf. Ich checke meinen Koffer ein. Dreiundzwanzig Komma acht Kilo. Passt. Ab Peking gibt‘s keinen Gangplatz mehr. Mist. Ich habe massig Zeit und schau mir noch mal an, was die da hinter dem Tisch eigentlich so machen. Irgendwie nichts. Sie haben wohl so eine Art Richtthermometer, aber in erster Linie lassen sie Leute in der Schlange warten. Mit mir im Rücken werden sie etwas unruhig. Mir ist das hier aber auch nicht so wohl.

 

Ich gehe zur Sicherheitskontrolle. Man kann in einer Vitrine bestaunen, was Leute schon so alles im Handgepäck mitnehmen wollten. Inbus, Hammer, Sechskantschlüssel. Besonders gut gefällt mir der drei-Liter-Kanister Pflanzenöl. Erst noch eine Temperaturkontrolle. Dann das übliche Prozedere. Sie tasten meine Schuhe ab. An meinen Füßen. Der Kerl hinter mir hat sein Aftershave nicht eingecheckt und muss jetzt eine Karte ausfüllen. Ich drehe eine Runde über den Flughafen. Auf dem Klo gibt‘s keine Seife. Hauptsache Maske auf! Hunger treibt mich zu McDonald‘s. Einmal Pommes, bitte. Bonnummer 13125. Ich muss grinsen. Und noch einmal extra Ketchup, bitte. Die Reinigungsdame fragt, wann mein Flug ginge. Und wohin. Sie lächelt. Ich soll mich doch bitte nach vorn setzen, sie mache da hinten jetzt zu.

 

Am Gate steht ein Mann mit Schwimmbrille und Einmalhandschuhen, wie zum Haarefärben, und telefoniert. Ich glaube, er merkt, dass ich ein Foto von ihm machen will. Aber das ist mir jetzt auch egal, das mache ich trotzdem.

 

Der Flieger ist ziemlich voll, gut zwei Stunden geht es in Richtung Süden. Es kommt mir so wie vor einer halben Ewigkeit vor, als ich den Weg in die andere Richtung angetreten habe. Wegen des Coronavirus‘ sei die Bordverpflegung umgestellt worden, plärrt es aus den Lautsprechern. Es gibt belegte Sandwichs. Heute ein vegetarisches für mich, extra markiert. Mit Ei und Käse und Mayo und Essiggurke. Das Ei schubse ich auf die Frischhaltefolie, der Rest schmeckt auch so bescheiden genug. Unterwegs gibt‘s noch eine Runde Temperaturkontrolle. Und wir müssen alle ein Formular ausfüllen. Was ist denn machen soll, wenn ich umsteige, will ich wissen, weil ich keine Adresse in Peking angeben kann. Umsteigen reinschreiben, lautet die Antwort. Kann ich auch auf englisch tun, aber da habe ich die Zeichen schon hingekritzelt.

 

Der Platz neben mir ist frei, der Kerl am Fenster pennt. Er will weder Sandwich noch Wasserfläschchen, Temperatur messen schaffen sie auch so. Ich vergrabe mich hinter Häkelnadel und Wollknäul. Etwas zum Festhalten dabei zu haben ist nicht schlecht, auch wenn es nur ein alberner Versuch mir lauter Kleinteilen ist. Blöderweise habe ich alle Tüten entsorgt. Also bediene ich mich an den Kotztüten vor mir. An der Perforierung knicken, abreißen, einreißen, zerreißen. Ein Blick über den Gang, die Frau auf der anderen Seite lacht jetzt auch. Ich zucke die Schultern verschwörerisch, stecke die kaputte Tüte zurück und versuche mein Glück an der nächsten.

 

Wir landen. Ich steige aus. Kontrolle. Mit dem Shuttle geht es zum anderen Terminal. Noch eine Kontrolle. Schlage stehen. Ausreisestempel. Weitergehen. Sicherheitskontrolle. Mein Rucksack muss zweimal durch den Röntgenapparat. Die Frau am Monitor beugt sich nach vorn und murmelt dann irgendwas von Stift. Ich darf ihn mitnehmen. Eine Frau trägt ihr Kleinkind auf dem Arm und hat eine riesengroße Plastiktüte über sich und das Kind gezogen. Vor dem Trinkwasserautomaten bildet sich eine Schlange. In den Geschäften ist kaum jemand. Ich gehe in Richtung Gate. Es ist seltsam ruhig, trotz aller Geschäftigkeit.

30Januar
2020

Unzugänglich

Donnerstagmorgen. Ich habe noch ein bisschen Kaffeepulver und das muss bis morgen reichen. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass ich noch 500g leermachen würde, als ich es vor ein paar Tagen gekauft habe, aber nun, wo ich fast nur zu Hause bin, geht es fast schneller zur Neige als mir lieb ist. Die Nudelsnacks dürften gerade so reichen, für heute sind auch noch Nudeln von gestern übrig.

 

In meinem Schrank räume ich Sachen von einem Fach ins nächste, vom noch-nicht-gewogen-Fach über die Waage ins schon-gewogen-Fach. Alles kommt auf eine Liste. Sieben Kilo Bücher, das geht eigentlich. Sieben Kilo Luft nach oben habe ich vom Hinflug, und ich nehme nicht alles mit zurück, was ich mitgebracht habe. Regelmäßig checke ich die Nachrichten. Lufthansa stellt die Verbindungen von und nach China laut der Nachrichten ebenfalls ein. Das macht mich unruhig. Die Inlandsflüge finden aber fast alle statt. Ich zähle weiter Stunden.

 

Ich gehe raus. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, es ist weiterhin vergleichsweise warm. Ich will auf das Unigelände, doch das Tor, durch das ich sonst meist gehe, ist verschlossen. Auch zur Verwunderung des Chinesen, der von innen kommt und heraus will. Das nebenan ist noch offen, also nehme ich das. Ich gehe in Richtung Flüsschen, dann nach rechts weiter an ihm entlang. Heute begegnet mir kaum jemand. Als ich mich einem anderem Tor nähere, stehen dort gerade ein Auto mit Blaulicht und einige Personen in Uniform. Sieht so aus, als ob sie das Gelände jetzt komplett abriegeln. Ich verlasse den Campus und gehe heim.

 

Ich packe weiter. Abends gehe ich noch einmal raus, besorge noch was zu trinken. Als ich an einem Laden vorbeikomme, entdecke ich ein Schild, das Kunden auffordert nur mit Masken einzutreten. Nebenan steht, in einer Nische, ein Automat mit Kondomen und Sexspielzeug. Der ist mir noch nie aufgefallen. Er ist vierundzwanzig Stunden pro Tag zugänglich. Ob mit oder ohne Maske interessiert ihn nicht.

29Januar
2020

Beschäftigungstherapie

Ich nutze den Morgen für Sport. Was soll ich sonst auch machen? Und einen Spaziergang in der Sonne mache ich auch. Heute wirken die Leute wieder etwas entspannter auf mich, man sieht kaum mehr Menschen ohne Mundschutz herumlaufen. Auf dem zugefrorenen Flüsschen sind zwei Hundebesitzer mit ihren Hunden unterwegs. Im Supermarkt sehe ich auch Eltern mit ihren Kindern, was in meinen Augen durchaus ein Zeichen dafür ist, dass nicht alle total angespannt sind. Die Preise sind hier auf dem üblichen Niveau, von Hamsterkäufen keine Spur, nur Desinfektionsmittel und Mundschutz sind weiter ausverkauft. Aber es gibt inzwischen auch Schutzbrillen zu erwerben. Dafür wirbt zumindest die Apotheke die Straße runter.

 

Mittags fange ich an meinen Koffer zu packen und alles einzeln mit der glücklicherweise vorhandenen Küchenwaage abzuwiegen. Beschäftigungstherapie. Schicke ein paar Geburtstagsgrüße an meine frühere Austauschpartnerin nach Russland und hoffe, dass sie nicht so einen spaßbefreiten Geburtstag verbringen muss. Gute Russischkenntnisse hätten hier sicherlich auch ihren Nutzen gehabt.

 

Die ersten Airlines stellen die Verbindungen nach China ein. Deutschland will seine Landsleute aus Hubei ausfliegen. Ich besorge mir noch was zu trinken und gehe dann spontan beim Uiguren einen Teller Nudeln mit Gemüse essen. Viel mehr Auswahl gibt es nicht.

28Januar
2020

Sterneküche

Ich mache morgens Sport und während ich unter der Dusche stehe, hämmert jemand wie blöd an die Tür, so dass sie klappert und dröhnt und in den Angeln zu wackeln scheint. Das jagt mit den Puls ordentlich hoch und daran merke ich auch einfach ganz deutlich, dass meine Nerven so langsam ziemlich blank liegen und ich nicht so cool bin, wie ich das momentan eigentlich gerne wäre. Nach einiger Zeit der Hämmerei setzt sich das Spiel an der nächsten Tür fort. Im Geschoss unter mir wird schließlich geöffnet. Ich verstehe durch die Tür kein Wort, aber es ist die alte Dame und es hört sich sehr danach an, als würde sie den Klopfer gerade ordentlich zur Sau machen.

 

Mittags gibt‘s wieder Nudelsnack mit Erdnussbutter, Tomaten und Karottenstreifen. Ich fürchte, ich bekomme die Packung doch noch leer. Aus der Heimat erreicht mich ein Video mit Übungen im Stil von lustigen Tiergangarten, die bestimmt alle fürchterlichen Muskelkater machen. Ich will lieber ein bisschen das Murmeltier sein und nachts mal wieder besser schlafen. Ich bestelle für das Wochenende schon mal Pizza und fange an Stunden zu zählen.

 

Unten an der Tür hängt ein neuer Zettel mit Verhaltenshinweisen, was man im Falle von Fieber zu tun habe. Ohne Kontakt zu Personen aus Hubei solle man sich in eines der 72 Krankenhäuser begeben. Am Rande, in China geht man immer direkt ins Krankenhaus, so etwas wie niedergelassene Ärzte gibt es in dem Sinne nicht. Nur bei Kontakt zu Leuten aus Hubei solle man gleich eine Hotline anrufen. Und grundsätzlich bitte nicht in Panik geraten.

 

Abendessen gibt es bei McDonalds. Ich bestelle ein Portion Pommes, einen Salat und eine Ananastasche. Um den Salat in der Kasse zu registrieren, braucht es drei Angestellte. Das kann ja heiter werden. Der Salat kommt mit unreifer Tomatenscheibe oben drauf und Sesamsoße, was ganz lecker sein könnte, wäre es kein Mayoverschnitt. Egal. Die Pommes sind kalt und lätschig. Ich beschwere mich. Tschuldigung. Es gibt gleich neue. Ob ich die alten trotzdem wolle? Nee, danke! Pommes ab. Die Ananastasche ist ok. Und ich bekomme neue Pommes.

27Januar
2020

Jetzt ist sie weg

Ich wache morgens alles andere als ausgeruht und entspannt auf. Ayi schickt eine Nachricht, ob ich mittags da sei. Sie käme vorbei, wegen Kaution und so. Das ist fünf Tage zu früh. Ober ok. Blöd nur, dass ich mit dem Geld jetzt gar nichts anfangen kann, ich kann es ja nirgends ausgeben.

 

Ich mache einen Spaziergang und als ich zurückkomme, ist meine Mitbewohnerin plötzlich da. Auch ein paar Tage zu früh. Wieso denn das? Sie wirkt panisch und erklärt, sie gehe zurück nach Hause, wegen des Virus‘. Jetzt ist mir auch klar, warum Ayi heute hier auftauchen wird. Und Ayi taucht auf. Sie ist mindestens genauso gestresst und panisch wie meine Mitbewohnerin. Meine Kaution bekomme ich ohne Zimmerinspektion zurück. Ich soll den Schlüssel dann einfach liegen lassen. Ayi ab. Meine Mitbewohnerin wurstelt in der Wohnung rum, irgendwann kommt ein weiterer Koreaner, die ihr beim Packen hilft, dann werfen sie die Hälfte ihrer Sachen weg und sauen den Gang ein. Ich verdrücke mich in mein Zimmer. Meine Mitbewohnerin verabschiedet sich. Jetzt ist sie weg.

 

Die Straßen sind wie leer gefegt, die meisten Geschäfte und Restaurants geschlossen. Ich vermag nicht ganz einzuschätzen, wie sehr das mit dem Frühlingsfest zusammenhängt, aber es ist gespenstisch. Ich fühle mich momentan sichtlich unwohl hier, wobei es nicht die Angst vor einer Ansteckung ist, die mich umtreibt, sondern sie Stimmung. Doch nach Einbruch der Dämmerung scheint sich die Lage etwas zu entspannen. Als ob der Virus nachts auch schlafe? Ich gehe in den kleinen Obstladen und kaufe Tomaten. Dort sind die Leute entspannt. Immerhin.

26Januar
2020

Ausverkauft

Ich setze meine Nudelsnackdiät fort. Ob sie doch noch leer werden? Mittags drehe ich draußen eine Runde. Man kann ja absolut nicht behaupten, dass das ein Ort sei, an dem man auf Menschenmassen träfe. Ich kaufe Klopapier und Ingwer. Im Supermarkt ist nichts los, von Wucherpreisen merke ich aber auch nichts. Mundschutz und Desinfektionsmittel sind ausverkauft, an der Apotheken hängen Zettel. Halb Hubei steht inzwischen unter Quarantäne. Und es gehen die ersten Gerüchte um, auch Peking sei bereits abgeriegelt. Die Busse sind leer, die Menschen tragen auch Mundschutz, wenn sie allein im Auto sitzen. Mir reicht es gerade. Die Stimmung ist gefühlt schlechter als gestern. Wahrscheinlich nervt mich aber auch das Rumsitzen. Innen drin, in einem überheiztem Raum. Das Internet stürzt auch ständig ab, ist vermutlich total überlastet.

25Januar
2020

Nudelsnackdiät

Frohes neues Jahr der Ratte! Tja, und viel passiert da nicht, an diesem Neujahrsmorgen. Ich gehe mittags mal eine Runde spazieren, es ist vergleichsweise warm und absolut tote Hose. Ich komme an einem Laden vorbei, auf dessen Schild ich ein Wort entdecke, das ich erst letzte Woche gelernt habe. Ich finde es spannend, wie sich die Welt auf diese Weise immer weiter vergrößert und wie mir immer wieder Sachen auffallen, die mir zuvor eben einfach entgangen sind. Ein kleiner Supermarkt ist geöffnet, der Lautsprecher davor plärrt in Dauerschleife.

 

Ein Stück weiter ist ein Evakuierungsplatz. Also eigentlich eine gepflasterte Grünanlage mit Toilettenhäuschen und Sportgeräten, die für gewöhnlich nur von älteren Herrschaften genutzt werden. Laut Plan gibt es auch noch einen Platz für Zelte, ich frage mich nur wo? Ich gehe weiter, noch ein Stück am Flüsschen entlang durch den Sonnenschein und dann über das Unigelände zurück. Dort sind einige Familien mit kleineren Kindern, die wohl auch mal rausmüssen.

 

Nachmittags mache ich noch etwas Sport und ansonsten gibt‘s Nudelsnackdiät. Die Rumsitzerei nervt. Die Stimmung nervt. An der Eingangstür klebt ein Zettel, man soll sich melden, wenn man Gäste aus Hubei hatte oder selbst in Hubei war.

24Januar
2020

Rote Laternen

Heute ist frei, der letzte Tag des Jahres. Ich starte gemütlich in den Tag. Zuerst will ich noch meine Getränkevorräte aufstocken, doch der kleine Supermarkt hat entgegen der Information von vor ein paar Tagen bereits geschlossen. So fahre ich dann am Vormittag in die Innenstadt, um mit mein Geld zurückzuholen. Angeblich macht das Skigebiet heute schon gegen Mittag zu. Tschuldigung. Das Geld bekomme ich anstandslos zurück.

 

Wenn ich jetzt schon in der Stadt bin, dann kann ich auch noch ein kleine Runde drehen. Die Sonne scheint und es ist nicht sonderlich viel los. In einem Supermarkt kaufe ich ein paar Getränke. Da ich, mal wieder, keinen Korb mitgenommen habe und wie immer an der Kasse stehe, von der die vor mit stehenden Leute noch ins Innere des Supermarkts zurückrennen müssen, um irgendwelche Einzelstücke von Waren zu holen. Denn da man die Neujahrsgroßpacks außen ja nicht mit Barcodes ausstatten kann und deshalb der Inhalt mittels Hilfsware so eingescannt werden wuss, zieht sich das alles hin. Sollte ich vielleicht einfach als Krafttraining verbuchen?

 

Ich gehe noch mal an der Sophienkathedrale vorbei, eine Runde um den Block und dann ab nach Hause. Das war‘s dann auch für den Tag. Ich geh früh ins Bett. Es ist erstaunlich ruhig. In einigen Balkonen, die ich von meinem Fenster aus sehen kann, hängen rote Laternen.

23Januar
2020

Schneeballschlacht

Endlich mal wieder gut geschlafen. Heute ist der letzte Schultag für dieses Jahr. Ich will mit Baozi kaufen, doch der Baoziladen hat schon zu, sie machen schon Ferien, und auch bis Februar. Schade. So gehe ich ohne Frühstück zur Sprachschule. Ich bin somit etwas zu früh dran. Es beginnt mit dem üblichen Diktat, wieder mal alleine, dann kommen noch zwei weitere an. Wir hecheln einerseits durch die Vokabeln und besprechen die Hausaufgaben nicht, um dann in den letzten paar Minuten wenigstens noch den Text zu Ende zu lesen. Andererseits macht die Lehrerin heute einen recht entspannten Eindruck, und da der Text eine Liebesgeschichte ist nimmt auch sie die Gelegenheit wahr, um über Heiratsanträge, Verlobung und Hochzeit zu sprechen. Einen Freund hat sie, aber der hat sie noch nicht gefragt. Das „leider“ schwingt schon ziemlich laut mit. Im Konversationskurs beginnen wir auch noch eine neue Lektion. Über das Reisen. Hach, wie schön, dazu hätte ich jetzt ja eigentlich auch Lust. Und dann diskutieren wir noch über Kühlschränke. Und wie kalt es da drin ist.

 

Nachmittags wurstelt meine Mitbewohnerin in der Wohnung herum. Sie hat Melone gekauft, die sie in der beschichteten Pfanne in Stücke schneidet. Ich biete ihr mein Brettchen an, aber sie meint, das ginge auch so. Ich finde das ja echt kreativ. Sie bietet mir auch was von der Melone an, bevor sie mir erzählt, dass sie heute bereits bei ihrer Freundin übernachte, um dann morgen nach Hangzhou und darauf nach Shanghai zu reisen. Wunderbar, dann bin ich sie schon einen Tag früher als eingeplant los. Ich helfe ihr auch gern mit ihrem Koffer an der Tür.

 

Ich fahre am Nachmittag ebenfalls los, aber nur in die Stadt. Als ich vor einem Reisebüro stehenbleibe, werde ich hineingebeten. Na gut, mal schauen, was es da gibt. Ich würde ja auch noch mal einen Tag Skifahren gehen. Von der Frau hinter dem Tisch lasse ich mir die Angebote erklären, ein Tag Skifahren kostet momentan 500 Yuan, ich soll doch lieber für 1150 Yuan über Nacht in so ein Schneedorf fahren und dann auf dem Heimweg aussteigen und auf eigenen Faust noch Skifahren. Es gäbe auch einen Schnellzug zurück, voll bequem und so. Und ich soll unbedingt das Gesamtpaket nehmen. Und da fährt man dann auch mit so einen Quad auf den Berg hoch. Sie zeigt mir ein Video, mir wird schon vom Zuschauen fast schlecht, und ich soll auch am besten gleich morgen los, zum Jahreswechsel, da ist auch voll was los! Als ich das höre, habe ich schon abgeschaltet. Bloß keinen Stress! Ich bedanke mich artig, stecke einen Flyer ein und gehe weiter.

 

Ein paar hundert Meter weiter ist das nächste Reisebüro. Ich frage mal, was das Skifahren kostet. 198 Yuan. Hm, naja, morgen noch was frei? Ja, na gut, dann probiere ich das jetzt aus. Ich könnte ja auch noch ins Schneedorf… Ja, super Film, danke, bestimmt voll was los, mutmaße ich. Total was los! Ich überlege es mir. Ich bezahle. Heute Abend soll sich der Reiseleiter melden und mir die Nummer des Nummernschildes des Busses mitteilen. Alles klar. Als ich das Reisebüro verlasse, kommt die Frau herein, die mich vor ein paar Minuten in das andere gebeten hat. Alles klar...

 

Ich gehe noch einkaufen, damit ich morgen Abend versorgt bin, und nehme dann den Bus nach Hause. Eine ältere Dame rückt ganz von sich aus zur Seite, um mich hinsitzen zu lassen. Ich packe meinen Ausflugsflyer aus und lese mal das Kleingedruckte. Wird wohl noch was extra kosten, naja, was soll‘s. Sie liest mit, lacht und meint, Schneeballschlacht, das klingt super! Das mache bestimmt Spaß!

 

Als ich zu Hause ankomme, erhalte ich eine Nachricht. Der Ausflug findet doch nicht statt, das Geld gibt es morgen zurück. Erst bin ich genervt und auch etwas enttäuscht, aber so unrecht ist mir das mit der Zeit dann auch wieder nicht. Wuhan ist abgeriegelt.

22Januar
2020

Einkaufszentrum

Heute Morgen habe ich Hunger. Das kommt nicht so oft vor, könnte aber am ausgefallenen Abendessen liegen. Ich mache mir einen Nudelsnack warm. Irgendwie muss ich die ja noch loswerden, die letzten neun von zehn. Dafür sehe ich eigentlich total schwarz. So gehe ich heute nicht im Baoziladen vorbei.

 

Im Unterricht rasen wir weiter durch die Vokabeln. Und da wir ja einen schnulzigen Text lesen, gibt‘s schnulzige Inhalte und über die schnulzigen Inhalte kommen wir dann irgendwie auf Homosexualität zu sprechen. Die Lehrerin meint, früher sei das in China ja viel strenger gewesen als heute. Mit früher meint sie die Kaiserzeit. Aber unangenehm ist ihr das Thema doch ganz sichtlich. Also beenden wir es lieber ganz schnell.

 

Nach den ersten beiden Stunden gehe ich ein Stockwerk weiter nach oben zum Konversationskurs. Da trudeln auf einmal Nachrichten der anderen Lehrerin ein. Eine Karte mit vom Ausbruch des Corona-Virus betroffenen Provinzen, Infektionen und Todesfälle, Verhaltensregeln. Der Konversationskurs wird in den größeren Raum verlegt. Also wieder nach unten. Die Lehrerin geht nicht ins Kino, wegen der Ansteckungsgefahr. Die Karten kann man nicht zurückgeben.

 

Am frühen Abend fahre ich zu einem Einkaufszentrum, das ich vom Bus aus gesehen habe. Ich hoffe, dass es da was zu essen gibt, denn bei mir in der Nachbarschaft ist ja so gut wie alles bereits geschlossen. Klar, wenn die Hauptkundschaft, Studierende vom Campus nebenan, fast komplett weg ist.

 

Im Einkaufszentrum gibt es sogar C&A und H&M und allerhand andere Läden gibt es natürlich auch noch. Ich gehe in einen Buchladen. Ein Frau will mich zu den englischen Büchern schicken, ein Verkäufer will mir helfen. Ich kauf nichts, ich habe schon genug, aber Buchläden machen mir Spaß. Im Obergeschoss sind innen Grünanlagen und Terrarien angelegt und es gibt eine ganze Reihe an Restaurants. Ich bin eigentlich längst schon wieder über den Punkt und brauche ganz dringend was zu essen, kann mich aber nicht entscheiden und bekomme recht miese Laune. Letztlich gehe ich zum Uiguren, bestelle Tofu, den es nach etwas hin und her auch vegetarisch gibt, Spinatsalat und Naan. Und eine Kanne heißes Wasser. Das ist gut.

 

 

Mit dem Bus geht es heim. Ich bin fertig. Kein Sport, nur eine heiße Dusche und dann ab unter die Bettdecke.

21Januar
2020

IKEA

Heute Morgen gibt es keine Baozi, auch in der Pause eine Stunde später nicht, als ich extra noch einmal zum Baoziladen gehe. Dann habe ich heute eben einen grummelnden Magen. Im Unterricht bin ich dann wieder erst mal allein. Das scheint jetzt wohl üblich zu werden. Naja. aus dem Nebenraum kommen Geräusche. Ich halte den Ursprung für einen Spitzer, aber es ist wohl eine Kaffeemühle, und bald darauf durchströmt auch Kaffeeduft den Raum. Wie beginnen eine neue Lektion, die letzte in diesem Buch. Die Lehrerin hat das Ziel, es noch vor den Ferien abzuschließen. Das kann ja heiter werden. Ich versuche sie mit vielen Fragen zu bremsen, aber das klappt nur minder gut.

 

Im Konversationskurs sprechen wir weiter über das Wetter. Die Mitschülerin meint, der Raum sei zu klein für unseren Kurs, ein größerer sei besser. Die Lehrerin überlegt hin und her, meint aber, es gäbe eigentlich keinen anderen, der verfügbar sei. Aber sie wolle sich kümmern. Und dann kommt, eine halbe Stunde vor Unterrichtsschluss, noch der, der seine Sachen nicht wäscht. Mit dem gleichen fleckigen Pullover wie in den Tagen zuvor schon. Ich muss der Mitschülerin dann doch recht geben.

 

Mittags mach ich mir die Reste warum um dann nachmittags den Bus zu IKEA zu nehmen. IKEA liegt etwas außerhalb und ich fahre knapp eine halbe Stunde in Richtung Süden. Ich drehe eine Runde durch die Ausstellung, die sich kaum von der in Deutschland unterscheidet, um dann im Restaurant etwas essen zu gehen. Man wirbt für IKEAs Umweltfreundlichkeit und vegetarisches Essen, aber heute gibt es extra zum kommenden Neujahr den extragroßen Fleischteller – nur Fleisch – im Angebot. Also nehme ich ein Stück Tiramisu und eine Tasse für den Kaffee. Am Nachbartisch sitzt ein kleiner Junge, der unaufhörlich auf Englisch zählt, während seine Mutter über dem Handy hängt.

 

 

Dann lerne ich beim Kaffeetrinken Vokabeln, bevor ich mich ins untere Geschoss begebe und eine letzte Runde durch die Markthalle drehe. Es gibt doch etwas Deko zum Neujahr. Hinter den Kassen kaufe ich ein Päckchen Kaffee (ha!) und noch einen Hotdog. Dann gehe ich zur Bushaltestelle und warte auf den Bus. Ein Mann, der es besonders eilig hat, stellt sich schon auf die Fahrbahn, als der Bus näher kommt. Und hat Glück, denn die Straße ist spiegelglatt und der Bus rutscht das letzte Stück auf ihn zu, bevor er doch noch vor dem Mann stehen bleibt.

 

Mein abendlicher Versuch essen zu gehen scheitert. Es ist alles zu, die Bürgersteige sind hochgeklappt. Ich kaufe Limo und frage nach den Öffnungszeiten an den Feiertagen, dann gehe ich heim.

20Januar
2020

Das Schweigen der Schüler*innen

Ich koche mir einen Kaffee und besorge Baozi. Dann sitze ich die ersten Minuten ganz allein mit der Lehrerin zusammen im Unterricht, was sie nicht davon abhält mich mit einem Diktat zu unterhalten. Das läuft aber gut. Dann besprechen wir alle möglichen Arten von Falten. Stirnfalten und Lachfalten. Und Grübchen, die „Alkoholnester“ heißen. Hmm. Kurz darauf kommen zwei andere. Wir kommen auf schweigen zu sprechen. Die Lehrerin fragt, wer den Film „Das Schweigen der Lämmer“ kenne. Es herrscht betretenes Schweigen. Sie findet den super, sucht gleich mal auf ihrem Handy nach Fotos und lacht dabei ganz dreckig vor sich hin. Dann kommen wir auf Vergebung zu sprechen. Und was man vergeben kann. Die Lehrerin meint, Straftaten könne man nicht vergeben. Das ginge nicht. Irgendwie muss ich da an gestern und die Todesstrafe denken. Im Konversationskurs sprechen wir nicht mehr über Strafen, sondern weiter über das Wetter. Über schmelzende Polkappen. Und über geile Wölfe und Eisbären.

 

Nachmittags mache ich Hausaufgaben. Eigentlich will ich heute, ganz grundlos, mal zu IKEA fahren. Ich suche auf der Karte nach dem besten Anfahrtsweg. Es gibt einen Bus, der direkt hinfährt. Dann schaue ich mir die Umgebung an. Aber so eigentlich scheint da nichts Spannendes in der Nähe zu sein, dessen Besuch sich noch lohnt. Langsam ist es mir auch schon wieder zu spät, um mich in den Berufsverkehr zu drängen. Also verschiebe ich den Ausflug auf morgen.

19Januar
2020

Sonntags vorarbeiten

Sonntagmorgen, Kaffee, Bewegung, ich muss morgens meine Knochen sortieren, habe ich mitunter das Gefühl, Baozikauf und dann ab in die Sprachschule. Heute ist der letzte Sonntag vor dem Frühlingsfest, und für eine Woche frei muss an den Wochenenden davor oder danach vor- bzw. nachgearbeitet werden. Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Die Schüler*innen haben auch schon ein paar Tage frei, weshalb momentan in der Sprachschule immer wieder Kinder herumlaufen, die von ihren Müttern mitgebracht wurden. Andere sitzen jetzt tagsüber in der Nachhilfeschule bei mir um die Ecke und pauken dort. Sonst war das nur am Wochenende und abends der Fall.

 

Im Unterricht sprachen wir über das Fu, das Glückssymbol an der Tür, und wann es denn nun angebracht werden soll. Grundkonsens: am besten achtet man darauf, was die älteren Nachbarn machen, wenn man keine Ahnung hat. Und wir klären so wichtige Fragen wie warum man auf einer Bergspitze kein Opfer einen Überflutung werden kann. Nein, das war kein Witz.

 

Irgendwie kommen wir dann noch auf die Todesstrafe zu sprechen. Die Lehrerin meint, zum Tode Verurteilte würden erschossen. Auf dem Boden kniend, in einer Reihe. Die Leute, die das machen, bekämen davon teilweise psychische Probleme. Habe sie mal im Fernsehen gesehen. In Harbin, glaubt sie, gäbe es auch eine Hinrichtungsstätte. Sie wisse aber nicht wo. Todesstrafe abschaffen? Dafür habe China zu viele Menschen. Wohin mit den Verurteilten? Und es sei ja auch nur für schwere Straftaten. Die Frage nach unschuldig Verurteilten stellt sich ihr nicht, auch nicht auf Nachfrage.

 

Mittags gehe ich Tofu in Sojasoße und im Teigmantel frittierte Pilze essen. Letztere sind nicht so lecker, der Teigmantel erinnert an Krabbenchips. Was soll‘s? Manchmal bestelle ich ganz gern mit dem Finger auf der Karte, da muss man mit Fehlgriffen rechnen. Dann mache ich Hausaufgaben und ein bisschen Sport, bevor ich abends noch einen Teller Jiaozi essen gehe. Zuerst kommen gekochte, mit denen man mich jagen kann, und dann doch noch angebratene.

18Januar
2020

Reisegruppe

Samstagmorgen, Kaffeezeit. Heute ist frei. Es ist vergleichsweise warm draußen, weiterhin unter Tage nur einstellige Minusgrade. Ich mache mich an die Hausaufgaben und an meine Mütze. Mittags gehe ich Nudeln mit Gemüse und einen Gurkensalat im uigurischen Nudelladen essen. Einer der Männer dort hört in ohrenbetäubender Lautstärke abwechselnd Musik, abwechselnd scheint er ein Videotelefonat zu führen.

 

Ich beschließe einen kleinen Spaziergang zu machen. An der Straße stehen die Mülltonnen mit den Speiseresten draußen. Diese Art von Tonnen haben hier nur die Restaurants. Und sie stinken unerträglich, einige sind ausgelaufen und das Ausgelaufene ist teilweise am Boden festgefroren. Ich gehe im Supermarkt vorbei und kaufe was zu trinken. Der Verkäufer hinter dem Tresen befestigt so Tragedingsbumse über dem Flaschenhals, damit ich die Flaschen besser tragen kann. Äh, nee, die steck ich in den Rucksack.

 

Danach mache ich eine kleine Runde über den Campus. Die Eisskulpturen sind teilweise geschrumpft, teilweise sind Stücke abgebrochen. Auf den Rutschen aus Eis turnen Schülergruppen herum, die von Reiseleiterinnen mit Fähnchen in der Hand mittels Megaphon aufgefordert werden, auf die Sicherheit zu achten. Weiter hinten scheinen die Eltern der Schüler*innen näherzukommen. Auch sie in Begleitung von Reiseleiterinnen mit Fähnchen. Die Eltern rutschen aber nicht. Ist wohl eine Universitätsgeländebesichtigung oder so. Ich drehe nach links ab und gehe wieder heim. Abgesehen von diesen Gruppen ist der Campus fast vollständig vereinsamt, die Student*innen sind schon (fast) alle nach Hause gefahren.

17Januar
2020

Kochbücher

Ob ich auch Sojamilch will, wie immer, werde ich beim in der Schlage Stehen im Baoziladen gefragt. Klar! Dann wird sie gleich zusammen mit der Bestellung vor mir abgefüllt. Ja, irgendwie dauert es ein paar Wochen anzukommen und dann muss man schon wieder weiter. Und natürlich will ich auch noch Baozi. Ich bin ein bisschen früher dran als sonst. Meine Mitschülerin ist auch schon da und büffelt Vokabeln. Die Lehrerin kommt gleich darauf. Heute gibt es ein nicht enden wollendes Diktatdesaster. Wir hätten das doch gestern alles schon besprochen. Ach ja, da war was. Unsere Vorstellungen von „besprechen“ differieren etwas. Vielleicht ist ein bisschen mehr Zeit für die Vokabeln eben doch keine so schlechte Idee.

 

Im Konversationskurs kommen wir wieder ordentlich vom Thema ab. Statt ums Wetter geht es irgendwann um Pflanzen und ihre Vegetationsphasen. Wobei, die sind ja auch vom Wetter abhängig. Die Lehrerin meint, sie kenne gar keine Lektion über Pflanzen. Der seine Klamotten nicht waschende Mitschüler kommt den dritten Tag in Folge mit seinem ungewaschenen Pullover zu spät. Den Rest der Zeit piepst sein Handy, auf das er starrt, alle paar Minuten. In der Pause unterhält er sich mit dem nicht duschenden über das Abchecken von Frauen. Ich muss hier raus!

 

Zu Hause mache ich mir Reste warm und klamme mich dann hinter den Schreibtisch, bis ich am Nachmittag den Bus zum Buchladen nehme. Der Bus ist gar nicht so voll und auch recht warm, da vergehen die Minuten der Busfahrt recht entspannt. Im Buchlanden angekommen lande ich nach dem ersten Umsehen in der Ecke mit den Kochbüchern. Es gibt Regalmeter über japanische Küche, noch mehr über Tee, wofür ich nicht viel übrig habe, und Teekultur, wovon ich nichts verstehe, ein bisschen was zur Küche vom Rest der Welt, Bücher im Stil von „288 Rezepte, die man auch ohne das Hirn anzuschalten zusammenrühren kann“, Nudelbücher, Teigtaschenbücher, allerhand Backbücher nicht chinesischen Ursprungs, Reis-, Hirse- und andere Schleimvariantenbücher (merkt man, dass ich das nicht mag?) und dann noch ein bisschen was zu Esskultur und so.

 

In der Ecke mit den Esskulturbüchern unterhalten sich, sehr hartnäckig am Ort festhaltend, drei Angestellte über die Erkältung der einen, die da auf dem Stuhl sitzt. Sie bekommt die Erkältung nämlich nicht weg, aber die Medizin findet sie zu teuer. Irgendwann setzt laute Musik ein, der ich keine weitere Bedeutung zumesse, es ist erst kurz nach fünf und Lärm ist ja normal. Als dann die Angestellten in Jacken an mit vorbeigehen, wundere ich mich so langsam doch.

 

Ich nehme meinen Bücherstapel und gehe zur Rolltreppe. Wo muss ich zahlen? Erster Stock? Wo ist das Klo? Dritter Stock. Ich lege die Bücher ab und springe die bereits ausgeschaltete Rolltreppe nach oben. Oben ist es dunkel, nur drei Frauen stehen noch herum, bereits in dicke Jacken eingepackt. Wo ist das Klo? Da wo das Licht scheint! Ahh, einleuchtend! Einmal schnell den Gang runter. Dann die Rolltreppe runter, mit den Büchern zur Kasse und raus. Puh.

 

Mit dem Bus fahre ich zu Carrefour und kaufe Kaffee nach. Den gibt‘s nur da. Als ich vor dem Regal stehe, stellt sich eine Verkäuferin neben mich. Honig? Hä? Du suchst doch Honig? Ignoriermodus an. Der Honig ist da hinten. Ich nehme ein Päckchen Kaffee aus dem Regal. Du willst doch Honig kaufen. Ich gehe wortlos an ihr vorbei, einen Gang weiter. Sie stellt sich wieder neben mich. Komm, der Honig ist auf der anderen Seite. Gleich landet sie im Honigfass! Und alles nur, weil ich vor sieben Wochen einmal eine Minute vor dem Honigregal stand!

 

Und nun stehe ich ganz ohne Honig natürlich an der Kasse, an der es wie immer am längsten dauert. Langsam macht sich Hunger breit, ich kaufe mir kurzum ein paar Minuten später im Einkaufszentrum eine Ladung Reis mit kalten Vorspeisen oben drauf. Als ich mir fröhlich Sesamsoße, die eigentlich für die auch dort verkauften Nudeln gedacht ist, drüber kippe, schaut mich die Dame hinter dem Tresen etwas sehr fragend an. Ob das schmeckt? Ja, meine ich.

16Januar
2020

Mal wieder Spieße

Baozi, Baozi. Hauptsache was zum Frühstück. Gestern war ich zwar voll, aber auch nicht so richtig satt. Die neue Lehrerin meint, man müsse die Texte und die Vokabeln schneller durchhecheln, und rast wie blöd durch 30 Wörter durch. Das ist ihr tägliches Ziel. Eine Lektion schaffe man in drei Tagen. Meine Mitschülerin beschwert sich, ihr sei das zu viel. Mein Heft ist voll, ich schreibe auch noch den Einband voll. Bei 30 neuen Vokabeln schafft man auch keine Beispielsätze. Ob das so sinnvoll ist?

 

Im Konversationskurs geht es um das Wetter. Das Wetter hier und das Wetter da. Der Quoten-Mark aus dem letzten Buch ist jetzt zum Quoten-John mutiert. Unsere Lehrerin meint, kein ausländischer Student würde jemals so gut Chinesisch lernen, dass er so gute Texte schreiben könne. Das habe ein Chinese einen Ausländer imitiert. Ich finde das immer wieder so aufbauend, mit welchen Lehrmethoden man so konfrontiert wird.

 

Mittags gehe ich frittierte Eierfruchtstreifen im Teigmantel mit fruchtig-süßer Soße essen. Lecker! Am Nachbartisch sitzen zwei mit einem großen Koffer. Die Student*innen fahren alle heim, die Prüfungen sind um, bald ist das Frühlingsfest. Ich nehme die Reste mit und gehe heim. Eigentlich will ich dann später zum Buchladen fahren, aber so richtig Lust zum Busfahren habe ich auch nicht. Also mache ich Hausaufgaben und hole das Sportprogramm von gestern nach. Geht schon wieder besser.

 

Da ich seit Tagen mal wieder zum Spießchen-Laden will und es heute nicht so richtig eiskalt ist, raffe ich mich auf und gehe die paar hundert Meter. Ach, ich freue mich. An der Tür begegnet mit ein Mann, an den ich mich nicht erinnern kann, auf einem Tisch schlafen zwei Frauen. Am großen runden Tisch im vorderen Bereich steigt eine harmlose Party. Ich werde auf die andere Seite des Raums geschickt. Bestelle Tofuröllchen, Süßkartoffeln, Salat, Eierfrucht und eine Kanne heißes Wasser.

 

Die nette Frau taucht dann auch auf. Wenig später bringt sie eine ca. 20cm Durchmesser aufweisende Schüssel voller Salat. Ob ich denn zum Frühlingsfest nicht nach Hause fliege, will sie wissen. Nee, aber doch auch schon bald. Und ob ich wieder komme? Hm, mal sehen. Mir wird so ein bisschen schwer ums Herz. Die Damen der Partygesellschaft haben ihr Schwätzchen jetzt auf den Bereich innerhalb bzw. direkt vor der Toilette verlagert. Ich weiß ja nicht, ob das so angenehm ist, aber gut. Ich brauche noch ein Spießchen mit Kartoffelscheiben, um das Knoblauchgehäcksel von der Eierfrucht aufzuessen.

15Januar
2020

Seifenoper

Wir sitzen heute wieder nur zu zweit im Unterricht, aber heute gibt es trotzdem Diktat. Eine gute Seite. Für meine russische Mitschülerin ist es heute der letzte Tag im warmen Harbin. Morgen früh fliegt sie zurück nach Hause nach Sibirien. Sie freut sich sichtlich. Endlich ist sie auch das chinesische Essen los, das sie nicht mag. Zumindest ist ihr auf Nachfrage hin kein Gericht eingefallen, das sie mag. Die Lehrerin will wissen, wie warm es in Sibirien gerade ist. Die Mitschülerin sucht schnell auf dem Handy, minus 34 Grad, das sei eigentlich ganz ok. Was sie denn da anziehe, fragt die Lehrerin entsetzt. Ein bisschen mehr als heute, meint sie.

 

Im Konversationskurs kommt nach ein paar Minuten ein neuer Mitschüler hinzu. Er ergänzt ganz fabelhaft den, der nicht duscht. Er wäscht nämlich ganz offensichtlich seine Klamotten nicht. Leider sieht man das nicht nur an den Flecken auf der Vorderseite seines Pullovers und den Dreckrändern an Ärmeln und Kragen. Man kann es auch ohne die Augen zu nutzen wahrnehmen. Der nicht duschende hat dank trockener Luft ein Problem mit seiner Haut, die ist nämlich auch trocken. Der nicht waschende empfiehlt Vaseline. Das lehnt der nicht duschende aber ab. Ich brauche echt keine chinesischen Seifenopern.

 

Mittags gibt‘s die Reste vom Vortag und Hausaufgaben. Nachmittags noch die Reste vom Mittagessen. Eigentlich alles nicht gerade viel, aber ich fühle mich voller als mir lieb ist. Irgendwie träge. Und meine Zweck-WG nervt mich heute wieder. Die Erfindung von Klinken ist hier noch angekommen, und wenn ich mich früher immer über WGs amüsiert habe, in denen jeder eine eigene Tüte Milch im Kühlschrank hatte, so freut mich heute doch sehr, dass wir sogar jede eigenes Klopapier haben, natürlich auch in unterschiedlichen Farben. So muss ich mich nämlich nicht für das verantwortlich fühlen, das oft genug neben dem Mülleimer liegt. Ja, man schmeißt das in den Müll, nicht ins Klo! Statt Sport mache ich an der neuen Mütze weiter. Da sehe ich schneller Erfolge.

14Januar
2020

Fernsehen!

Der Dienstag beginnt mit Kaffee. Im Baoziladen sind die Baozi aus. Und ich habe soooo Hunger. Dafür kommt die neue Lehrerin. Sie macht gleich mal ein Diktat, weil die andere gesagt hat, wir machen täglich Diktat. Das Diktat besteht zur Abwechslung auch aus ganzen Sätzen und die übliche Vorbereitungszeit direkt davor gibt es bei ihr auch nicht. Egal. Geht schon.

 

Die neue Lehrerin meint, wir sollen mehr fernsehen für das Hörverständnis, gut seien da chinesische Seifenopern, da lerne man auch viel Umgangssprache. Ich mag die ja so gar nicht, nicke heute dank Baozientzug aber einfach mal brav.

 

Kaum ist Pause flitze ich auch schnell zum Baoziladen. Hach, jetzt gibt es welche. Heute will ich gleich drei! Die Baoziverkäuferin will mir aber nur zwei geben. Warum, will ich hungrig wissen? Der dritte sei gebrochen! Egal, meine ich, der gehe beim Essen so oder so kaputt. Das gibt dann fünf Mao Rabatt.

 

Im Konversationskurs hören wir uns den Lektionstext an, machen Aufgaben dazu. Man versteht echt nichts. Der tödlich nervige Lautsprecher spuckt nur Gerausche aus. Ich lass mir von der Lehrerin die Texte auf meinen USB-Stick ziehen. Zu Hause kann ich mir das nämlich ohne Rauschen anhören.

 

Nachmittags ist Zeit für Hausaufgaben und Sport, dann gehe ich essen. Ich gehe los, und schau, was sich so findet. Bei mir im Innenhof ist ein koreanisches Restaurant, darauf habe ich jetzt aber keine Lust. Auf der nächsten Querstraße stehen draußen vor einem Laden ein paar Aufsteller. Sieht ganz gut aus, was da abgebildet ist. Ich gehe in den Hausflur, eine Treppe hoch, durch eine Tür, um eine Ecke, noch durch eine Tür uns stehe in einem Raum, der mich eher an ein Esszimmer erinnert.

 

Eine Frau mittleren Alters kommt aus der Küche, ich frage, ob es denn noch was zu essen gäbe, es ist immerhin schon halb acht. Ja, gibt‘s. Dann bestelle ich Eierfrucht und Süßkartoffeln in Karamel. Während ich warte, kommt ein Mann mit Einkäufen zurück. Aus einer Tüte ragt Gemüse, die andere scheint voller Fisch zu sein. Wir halten ein kleines Schwätzchen. Da ich mich wohl etwas missverständlich ausgedrückt habe, packen sie mir das essen zum mitnehmen ein. Auch egal. Dann schau ich mir jetzt eine Doku zum Abendessen an, ich soll ja mehr fernsehen!

13Januar
2020

Marshmallow und Zuckerwatte

Nach Kaffee und Dusche gehe ich los zum Baoziladen, Frühstück einkaufen. So langsam haben sie sich auch daran gewöhnt, mich da jeden Morgen zu sehen und der Mann, der die gestapelten Dampfkörbe nach draußen trägt, wo sie dann vor dem Laden auf den Dampfkessel gestellt werden, begrüßt mich ebenso freundlich wie die Frau, die mir welche einpackt. Hach, das hat schon ein bisschen was vom Gefühl zu Hause zu sein.

 

Im Unterricht besprechen wir die neuen Vokabeln. Eine davon ist Marshmallow. Was man halt so braucht. Ich frage nach, ob man in China Marshmallows auch über dem Feuer grillt. In dem Moment habe ich das Gefühl, dass meine Lehrerin mich jetzt endgültig für vollkommen durchgeknallt hält. Sie will wissen, wie das gehen soll? Man steckt sie auf einen Stecken und grillt sie. Sie zückt ihr Smartphone, tippt etwas ein, und zweigt uns ein Foto von Zuckerwatte? Die da? Nee, meinen meine Mitschülerin und ich, kleiner. Sie tippt noch einmal, dieses Mal findet sie ein Bild von dem, was wir als Marshmallow bezeichnen. Da gibt‘s wohl im Chinesischen nur ein Wort dafür. Seltsam findet die Lehrerin die gegrillten Marshmallows dennoch.

 

Im Konversationskurs beginnen wir heute mit dem neuen Buch. Es ist auch nicht so großartig anders als das letzte, hat aber eine andere Farbe und neue Themen. Auch welche, die nicht ganz so sehr aus der Luft gegriffen sind, wie das sonst mitunter der Fall ist. Ich mag den Kurs gern.

 

Eigentlich ist das Wetter momentan wieder wärmer, aber so ganz bin ich meine Erkältung doch noch nicht los, also lasse ich das Joggen besser sein, auch wenn es mich in den Füßen juckt. Spätnachmittags gibt‘s ein bisschen Sport und dann verlasse ich das Haus noch einmal, um ein paar Jiaozi essen zu gehen. Später am Abend schickt die Lehrerin noch eine Nachricht, dass sie aus familiären Gründen ab morgen nicht mehr kommen wird. Ohje.

12Januar
2020

Und wieder Sonntag

Sonntagmorgen, Kaffeezeit. Meine Mitbewohnerin bringt wohl ihre Freundin zum Bahnhof. Viel wird heute nicht passieren. Ich bleibe weitestgehend zu Hause und kümmere mich brav um die Hausaufgaben und mache ein kleines Sportprogramm. In den letzten Tagen habe ich recht wechselhaft geschlafen, Rücken und Schulter sind verspannt, teilweise richtig hart. Dem versuche ich entgegenzuwirken und dabei nicht zu übertreiben. Mittags gibt es die Reste vom Vortag, Abends gehe ich noch essen. Es gibt im Teigmantel frittierte Eierfrucht mit süßsaurer Soßen drüber und Gemüse, das man in kleine Pfannkuchen einrollen kann.

11Januar
2020

Synagoge, Schokolade, Stäbchen

Auch am Samstagmorgen bin ich gegen halb sieben wach. Zum Baozikaufen gehe ich nicht vor die Tür, ich habe noch genug Reste im Kühlschrank, die als Frühstück herhalten müssen. Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Heute will ich das Museum in der neuen Synagoge besuchen. Ich weiß nicht sonderlich viel darüber, nur dass es ein Kunstmuseum und eine Ausstellung über jüdisches Leben in Harbin beheimaten soll. Mal sehen. Mit dem Bus fahre ich bis zu einem Einkaufszentrum, sehe vom Bus aus schon das Straßenschild der Straße, in der das Museum sein soll und gehe dann nach dem Aussteigen erst über eine Brücke und schließlich eine kleine Gasse entlang in Richtung Museum.

 

 

Unterwegs passiere ich eine Restaurants, die ganz verlockend aussehen und ein Schild, das auf eine Kampfkunstschule hinweist. Der Innenhof sieht aber eher nach, ähm, chaotischem chinesischem Innenhof ohne weitere Hinweise auf Kampfkunst aus. Vielleicht dank koreanischer Konkurrenz geschlossen?

 

 

Ich betrete wenig später die neue Synagoge. Der Ticketstand außerhalb ist nicht besetzt. Am Türknauf baumeln kleine Glöckchen, die den Angestellten die Ankunft neuer Besucher ankündigen. Röntgengerät und Detektor sind außer Betrieb. Die Eintrittskarte (25 Yuan) gibt‘s an einem provisorischen Tischchen, auf dem Teebecher stehen.

 

 

Im Erdgeschoss sind Bilder aus Harbin ausgestellt. Einerseits Aquarelle, von denen viele Kirchen darstellen, andererseits auch groß abgezogene Fotos. Von den Autos, die man sehen kann, schätze ich recht viele auf in den späten 1990er oder frühen 2000er Jahren aufgenommen. Es ist auf jeden Fall weniger los und Fahrräder sieht man auch noch mehr.

 

 

 

Auf der Galerie im ersten und zweiten Stock ist die Geschichte der Juden in Harbin dokumentiert. Man sollte hier allerdings keine chronologische oder thematische Ausstellung erwarten, es ist eher ein buntes Sammelsurium aus Fotografien vergangener Tage, späterer Besuche, Kopien einiger Dokumente und ein paar szenisch ausgestellten Artefakten. Das ganze zweisprachig chinesisch und englisch, wobei am Übersetzer ganz klar gespart wurde. Nicht jedes 同 steht für "homo". ;-)

 

 

Dass auch diese Ausstellung eine politische Botschaft transportieren soll, zeigt sich ganz gut darin, dass und wie man auch Bilder ehemaliger jüdischer Bewohner Harbins (oder deren Nachfahren) zusammen mit politischen Würdenträgern Chinas zeigt. Und auch der zum Zeitpunkt der Erstellung der Ausstellung wohl noch amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert ist beim Besuch des jüdischen Friedhofs zu sehen.

 

Im Museum treffe ich dann noch einen chinesischen Studenten, der sich mit mir unterhalten will. Er wollte ja eigentlich in die Sophienkathedrale, aber die wird ja bekanntermaßen renoviert. Dann kam er halt hierher. Er ist aus Henan, studiert in Changchun und macht gerade mit seinen Freunden einen Ausflug. Dass ich allein unterwegs bin, verwundert ihn etwas. Man muss doch besser mit seinen Freunden reisen. Wir machen ein Selfie zusammen, dann geht er weiter. Ich kaufe noch einen Kühlschrankmagneten mit Brot und Wurst drauf und gehe dann ebenfalls.

 

Auf der Zhonyanglu betrete ich schnell einen russischen Supermarkt. Eine Frau neben der Rolltreppe brüllt immer dann in ihr Megaphon, wenn jemand neben ihr steht oder an ihr vorbei geht. Oben gibt es Schokolade und massenhaft Alkoholika. Schokolade aus Russland ist hier irgendwie ein Verkaufsschlager. Es gibt sogar welche mit 100%, die mehr als nur eine Zutat hat. Mir ist Russland als Schokoladenland bis vor ein paar Wochen komplett unbekannt gewesen.

 

Ich habe Hunger und gehe zurück in die Straße mit den vielen Restaurants. Als ich durch das Fenster des einen blicke, kommt jemand heraus und fragt, was ich denn wolle. Essen. Ich soll reinkommen. Nagut, mache ich. Die Karte sieht gut aus, ich bestelle irgendein Gericht mit Tofu und trinke eine Cola. Der Mann will sich gern auch noch etwas mit mir unterhalten. Er hat für frühen Nachmittag schon ordentlich getankt. Ein anderer stellt fest, dass ich mit Stäbchen essen kann. Echt ein Hexenwerk. Eine Gabel hatte ich tatsächlich vor sechs Wochen das letzte Mal in der Hand. Das heißt auch, heute sind zwei Drittel meines Aufenthalts um, in drei Wochen bin ich wieder zu Hause. Ich nehme die Reste mit und gehe weiter.

 

 

Ich gehe über die kleine Fußgängerbrücke und betrete dann das sich dort befindende Kaufhaus. Im Erdgeschoss ist eine große Markthalle. Das ist ja immer besser als Fernsehen, weil man da so viel Schräges, Witziges und Leckeres zu sehen und zu kaufen bekommt. Ich nehme Blätterteigteilchen - Tausendschichtenkuchen (千层饼) - vom Blech für zwei Yuan zum Probieren mit. Vorsicht heiß! Entgegen meiner Befürchtung sind sie auch gar nicht süß. Seht gut.

 

Oberhalb der Markthalle ist ein großes Einkaufszentrum, diesmal scheinbar ohne Taekwondostudio, und unter der Markthalle erstrecken sich noch eine Fressmeile und ein Supermarkt. Ich gehe noch schnell in den Supermarkt, um meinen Wochenendeinkauf zu erledigen. Als ich schnell feststelle, dass ich doch ein Körbchen hätte mitnehmen sollen, gehe ich zum Eingang zurück. Die dort rumstehende Verkäuferin wedelt wild mit den Armen in der Luft herum, will aber scheinbar nichts zu mir sagen. Sie kommt wild wedelnd auf mich zu, während ich weiter in Richtung Ausgang gehe. Sie wedelt weiter, ich ignoriere sie, nehme mir einen Korb, drehe mich um und gehe zurück. Ihr Kollege lacht sich kaputt. Eine andere Verkäuferin empfiehlt mit Kaffeepulver mit Milchpulver und Zucker. Im Bierregal gibt‘s lauter deutsches Bier, von dem ich noch nie gehört habe. Mit dem Einkauf im Gepäck, ohne Kaffee und Bier, fahre ich heim.

 

Als wir vor der Universität nach rechts abbiegen kann man den aufgehenden Mond über dem Campus sehen. Bald rund, groß, rotorange. Ein junger Mann macht die neben ihm sitzende junge Frau freudenstrahlend darauf aufmerksam, und sie sehen ihn sich ganz verzückt an. Ich bin auch durchaus begeistert. Noch mehr von der Reaktion der beiden als vom Mond, um ehrlich zu sein.

10Januar
2020

Gurken in Sesamsoße

Heute haben wir es von Zielen. Die Mitschülerin, die neulich mit dem großen Becher Perlentee im Unterricht saß, meint ihres sei ja abnehmen. Da lässt es sich die Lehrerin nicht nehmen, ihr gleich mal einen Vortrag zu halten. Sie solle auf jeden Fall weniger von dem Perlentee trinken, man brauche nämlich eine ganze Woche, um den vielen Zucker wieder abzubauen. Und auch sonst besser keine süßen Getränke. Auch keine ohne Zucker, die seien nämlich auch nicht gesund. Und sie solle weniger Fleisch essen, und auch weniger Fett. Mehr Gemüse. Da werden die Augen der Mitschülerin immer größer, während sie fast unter dem Tisch zu versinken scheint. Heute steht allerdings nur eine Flasche Wasser vor ihr. Zum Glück hat die andere Mitschülerin nur das Ziel gut Chinesisch zu lernen, um dann einen guten Job zu finden. Das ist keinen Vortrag wert.

 

Mittags gehe ich beim Uiguren Nudeln mit Gemüse essen. Irgendwie ist das so langsam so ein Verlegenheitsmittagsessen geworden, wenn ich nicht weiß, was ich will und weder Lust zum Nachdenken noch zum Kochen habe. Die frisch gezogenen Nudeln werde ich vermissen. Zu meinen Nudeln bestelle ich mir noch einen Teller mit Gurkensalat. Er kommt in einer trüben, braunen Soße. Appetitlich sieht es nicht gerade aus, aber es schmeckt echt vorzüglich mit der Sesampaste drin. Der Mann mir gegenüber schlurft seine Nudeln.

 

Meine Mitbewohnerin war heute nicht im Unterricht. Nachmittags finde ich einen Zettel in der Küche und einen Matcha-Muffin. Sie fährt heute zu ihrer Freundin nach Changchun. Morgen kommen sie beide zurück. Das wird heute immerhin mal ein ruhiger Abend werden.

 

Später wasche ich meine Wäsche. Die Waschmaschine pumpt allerdings nicht ab. Super. Also ziehe ich die nassen Klamotten aus der blauen Brühe und hänge sie an der Dusche auf, wo sie vor sich hin tropfen. Ich schicke Ayi ein Bild. Sie will sich morgen kümmern. Spät am Abend versuche ich es noch einmal, da pumpt die Maschine dann doch noch ab.

09Januar
2020

Die blaue Blume der Tang-Dynastie

Mit Baozi im Gepäck mache ich mich auf in die Sprachschule. Wir sitzen heute nur zu zweit im Unterricht. Das bedeutet, heute auch kein Diktat. Dafür lässt sich die Lehrerin darüber aus, dass das bei den beiden anderen, die heute nicht da sind, schon immer dringend nötig sei. Ich finde das fürchterlich unangenehm und möchte am liebsten unter dem Tisch versinken.

 

Dann sprechen wir über Leute, die kein gutes Benehmen an den Tag legen. So wie rotzen und spucken. Das läge an der mangelnden Bildung, meint meine Lehrerin, auch rauchen in der Öffentlichkeit gehöre dazu. Wobei ich letzteres hier deutlich seltener wahrnehme als zuvor andernorts. Mag aber sein, dass das auch mit am kalten Wetter liegt.

 

Meine Lehrerin erzählt, dass ihre Oma sich, weil sie kein Geld hatte und es ohnehin keine Zugtickets zu kaufen gab, nach Maos Tod zu Fuß nach Peking aufgemacht habe, um ihn noch einmal zu sehen. Er habe ja so viel Gutes für das Land getan. Ich unterdrücke das Bedürfnis unter dem Tisch zu versinken genau so wie das zu widersprechen. Wir sollen mal zu Hause was über Mao nachlesen, damit wir China besser verstehen können, gibt sie uns mit auf den Weg.

 

Im Konversationskurs hören wir heute Texte an und machen Übungen dazu. Nebenan übt eine Gruppe im Chor die Aussprache von Wörtern. Ein anderer Schüler erhält Einzelunterricht. Auch nicht gerade leise. Die Aufnahme rauscht, ist echt schwer verständlich. In dem einen der Texte geht es um Porzellan. Konkret um Porzellan mit blauen Blumen drauf. Diese Hörverständnisübungen rauben mir mitunter den letzten Nerv. Bei den Antworten ist gern mal nur ein Zeichen falsch. Wehe, man hat das nicht verstanden. In unserem Beispiel geht es um die Dynastie, aus der ein Porzellanteller stammt. Ist es die Tang? Ich frage (mich), ob es in der Tang-Dynastie denn überhaupt schon Porzellan mit blauer Bemalung gab. Die Lehrerin weiß es auch nicht. Wie gut, dass wir im Unterricht so fleißig was über die Kultur und Geschichte lernen. Äh, ja.

 

Abends gehe ich Eierfrucht und Tofustreifen mit Koriander essen. Der Kellner fragt, ob ich wirklich zwei kalte Gerichte wolle? Aber die Eierfrucht kommt, wie beim letzten mal, ohnehin wieder warm an. Und mhhh, frischer Koriander. Die Kerl am Nachbartisch rotzt rum. Er steht auf, spuckt in den Mülleimer, setzt sich wieder hin. Dann beginnt das Spiel von vorne. Sehr appetitlich. Ich fühle mich an den Unterricht erinnert.

08Januar
2020

Eisfestival - Chips und Ski

Morgens gibt es Kaffee und den üblichen Baozikauf. Es ist wie gestern vergleichsweise warm, weshalb ich schon gestern beschlossen habe heute zum Eisfestival zu fahren. Das, mit den vielen bunten Bauten, die man aus Presse und Fernsehen kennt. So vergeht der Morgen mit Unterricht, zum Mittagessen gibt‘s Reste und dann mache ich mich auf den Weg.

 

Mit dem Bus 119 fahre ich am Nachmittag los. Er fährt praktischerweise vor den Tür und auch direkt zum Festival. Aber erst einmal stehen wir im Stau herum. Ich habe einen Sitzplatz und geheizt wird auch. Einige Leute in dicken roten Jacken und mit Fellmützen steigen ein. Die Aufschrift der Jacken macht klar, dass sie auf dem Eisfestival arbeiten. Nach gut zwanzig bis fünfundzwazig Minuten Fahrtzeit sind wir am Fluss angekommen, den wir überqueren müssen. Die Sonne ist schon am Untergehen, ich mache ein paar Bilder der Skyline. Kurze Zeit später erreichen wir die Haltestelle. Ich steige aus und folgen den roten Jacken.

 

Ich muss ein paar Treppen herunter und unter der Straße durch. Der Weg ist schon hier gesäumt mit Leuten, die Kram verkaufen. Vor allem so Eisrutscher, die man sich unter den Hintern klemmen und auf die man sich dann setzen kann. Mein Bedarf geht asymptotisch gegen Null. In der Unterführung gibt es keinen Fußweg, der Straßenrand ist glatt. Mit dem Linienbus ankommende sind wohl nicht so die Hauptzielgruppe.

 

Vor dem Eingang zum Gelände befindet sich ein großer Parkplatz und viele Menschen machen fleißig Bilder. Ein Thermometer zeit sechzehn Grad unter Null. Andere stehen im Vorraum der Toilettenanlage und wärmen sich auf. Hier kann man auch warme Schuheinlagen und Heizpads für Smartphones erwerben. Ich kaufe mir ein Ticket (290 Yuan) und gehe rein. Und frage mich, wann ich das letzte Mal so viel Geld für eine Eintrittskarte ausgegeben habe.

 

Noch ist es hell. Der Andrang ist momentan auch noch deutlich unter dem, was der Eingangsbereich als Anstehkapazitäten so zu bieten hat. Erst einmal geht es durch einen dauerpiepsenden Metalldetektor. Dann noch durch ein Drehkreuz. Dann bin ich drin. Innen wartet ein Minizug für alle, die sich für dreißig Kuai durch die Gegend fahren lassen wollen. Ich drehe eine Runde zu Fuß. Neben den Bauten, die man teilweise auch besteigen kann, gibt es weitere Attraktionen wie Rutschen, die man auf LKW-Schläuchen herabrutschen kann. Weiter hinten ist ein kleiner Hang, auf dem Menschen Skifahren.

 

 

Ich stelle mich mal an. Es dauert aber ziemlich lange und dabei wird es dann auch durchaus kalt. Endlich habe ich einen Schlauch ergattert, den ich die Treppe hinaufziehen muss. Der Ausblick ist auf jeden Fall super. Zum Rutschen soll ich dann gefälligst meine Brille abnehmen und in den Rucksack stecken. Hoffentlich überlebt sie das. Es geht rasant im Eiskanal herab, und dann ist die fahrt auch schon vorbei. Die Brille lebt noch, aber der Spaß ist mir zu kurz für die kalten Füße zuvor.

 

Das Wasser gefriert auch bei minus 40 Grad celsius noch nicht, der ideale Ort für Liebesschwürde und Hochzeiten!

 

 

 

Nach einer weiteren Runde über das Gelände beschließe ich mich etwas aufzuwärmen. Es gibt hier einige (Schnell-)Restaurants. Das meiste ist nicht so mein Geschmack. Also nehme ich das mit Kuchen und Chips, bestelle eine Tüte Chips mit Kimchi-Geschmack. (Nicht scharf, was ja zu erwarten war.) Neben mir essen sie in der Mikrowelle aufgewärmte und mit Schokolade überzogene und mit Crememasse gefüllte Muffins. Schüttel. Ich ziehe weiter und mache noch ein paar Fotos. In einer Halle spielt ein Holzbläserquintett Weihnachtslieder. Man kann dort Nudelsnacks kaufen und sich hinsetzen. Es gibt eine Ausstellung von Bildern vergangener Festivals und in der Mitte ein Installation zu Getreide und Ölpumpen in Daqing.

 

 

Ich komme an einer Schlittschuhbahn und einem Gebäude vorbei, in dem ich schon von außen Ski und Skischuhe in Regalen sehen kann. Ich zögere, beschließe dann doch mal hineinzugehen. Drinnen schaue ich mich etwas um. Hm, viel mehr als den Hinweis, dass man 100 Yuan Kaution hinterlegen muss, finde ich nicht. Also frage ich mal nach. Ein Kerl in einer lachsfarbenen Jacke fragt, ob ich Skifahren könne. Ich meine ein bisschen. Also kurzum, in einer halben Stunde beginnt die nächste Runde und man muss nur die Kaution hinterlegen. Ich kaufe mir einen Kaffee, bäh, mit Milchpulver und Zucker, aber warm, und ziehe meine Schneehose an. Dann heißt es anstehen.

 

Am Kautionstresen sitzen und stehen, ganz beschäftigt, insgesamt fünf Personen. Der Kerl in der lachsfarbenen Jacke will sich mit mir unterhalten. Ich bezahle hundert Yuan, erhalte zwei Quittungen und gehe zum anderen Tresen, gebe dort die rosafarbene ab, stecke die gelbe ein, um dann die Ausrüstung entgegenzunehmen. Schuhe anziehen, dann geht es los und raus.

 

Den Hügel kommt man auf einer Art Fließband nach oben. Das dauert ewig, aber was soll‘s. Oben angekommen heißt es unter skeptischen Blicken Ski unterschnallen. Und die Handschlaufen nicht um die Hände wickeln! Ich versuche mal, wie es sich fährt. Immerhin stand ich seit der sechsten Klasse nicht mehr auf Abfahrtsskiern. Aber das verlernt man scheinbar nicht wirklich.

 

Von den Chinesen ist ganz offensichtlich noch keiner der anwesenden Erwachsenen jemals Ski gefahren. Einige schaffen es innerhalb der nächsten halben Stunde immerhin den Idiotenhügel im Schuss herabzufahren und unten mit einem Sturz zu bremsen. Die Aussicht ist übrigens einfach traumhaft. Auf der einen Seite das Festival, auf der anderen Seite die Skyline der Stadt. Die Kamera hatte ich allerdings eingeschlossen. Nach etwas über einer halben Stunde ist der Spaß vorbei. Mir ist wieder warm. Der Kerl in der lachsfarbenen Jacke fragt, wie es gewesen sei. Etwas kurz.

 

Ich drehe noch ein letzte Runde, bevor ich mit dem Bus nach Hause zurück fahre. Schnell noch ein paar Jiaozi und eine Kanne heißes Wasser zum Abendessen, dann will ich ins Bett.

 

07Januar
2020

Taekwondo

Heute Morgen sitzt meine Lehrerin allein im Klassenzimmer, doch eine Tasche, die nicht ihr gehört, liegt bereits da. Ah, sie gehört der Mitschülerin, die aber gerade noch unterwegs ist, um etwas zu trinken zu kaufen. Ich packe mal meine Sachen aus und wiederhole ein paar Vokabeln.

 

Meine andere Mitschülerin kommt mit einem Becher Kaffee, die einkaufende kurz darauf mit einem großen Becher mit einem dickem Strohhalm drin. Das weist schon ganz klar auf ein Teegetränk mit Perlen drin hin. Meine Lehrerin meint, Chinesen mögen das. Die Koreanerin meint, das sei in China viel billiger als in Korea und auf dem Unicampus ganz besonders billig. Die Lehrerin meint, so billig wie auf dem Campus sei es im Café aber nicht. Die andere Mitschülerin meint, die Perlen seien nicht elastisch sondern eklig. Dann meint die Lehrerin noch, die Mitschülerin solle nicht so viel davon trinken, denn da sei so viel Zucker drin und das mache dick. Das ist wohl eher der versteckte Hinweis darauf, dass sie mal abnehmen soll. Sie zieht etwas verlegen an ihrem Strohhalm und schaut mit großen Augen durch die Gegend.

 

Ich frage nach den Taekwondostudios. Die sieht man praktisch in jedem größeren Einkufszentrum. Ob das gerade in China in sei? Meine Lehrerin meint, ja, aber nur für Kinder. Ihr kleiner Bruder habe das auch mal gemacht. Das sei auch alles viel einfacher als chinesischer Kampfsport, den müsse man ja jeden Tag üben. Am besten gar mehrere Stunden. Für Taekwondo käme man mit weitaus weniger aus. Schon einmal in der Woche trainieren sei auch genug. Ihr kleiner Bruder habe in drei Monaten drei Gürtel geschafft.

 

Lustigerweise kommen wir im Konversationskurs dann auch wieder auf chinesischen Kampfsport zu sprechen. Meine (andere) Lehrerin meint, sie habe mal einen Schüler gehabt, der sei ganz erstaunt gewesen festzustellen, dass nicht alle Chinesen Meister im Kampfsport seien. Mein Mitschüler meint, die Filme seien schuld, dass so ein Eindruck entsteht. Meine Lehrerin meint, eigentlich lerne das niemand mehr. Nur ein paar Alte machten noch Taijiquan.

 

Abends mache ich einen kleinen Spaziergang, oder Spazierrutsch, durch die Nachbarschaft. In einem wohl nicht mehr für den Straßenverkehr genutzten Tunnel spielen ein paar Leute Ball. Einer übt irgendwas mit einer Peitsche. Es knallt auf jeden Fall ziemlich laut.

 

Danach gehe ich essen. Heute gibt es Gemüse aus einer gusseisernen Pfanne. Erst befürchte ich, unfreiwillig an Bittergurke geraten zu sein, doch das stellt sich dann doch als Zucchiniart heraus. Viel Auswahl hatte das Schnellrestaurant nicht zu bieten. Auf meine Frage nach vegetarisch gab es nur das oder das Omelett mit Würstchen. Ähm, nein.

 

 

 

06Januar
2020

acht acht acht

Ich bin wieder gegen halb sieben wach und nutze den Morgen für ein bisschen Bewegung und Kaffee, bevor ich vorbei an den Baozi zum Unterricht gehe. Es ist echt warm. Nur einstellige Minusgrade. Ich habe den Eindruck, eine Jacke zu viel zu tragen. Der Unterricht beginnt mit mir und der Lehrerin allein. Wir witzeln, dass die Mitschülerin bestimmt noch bei McDonald‘s in der Schlange stände, und auf ihren Kaffee warte. Zwei Minuten später geht die Tür auf und sie kommt mit Kaffeebecher in der Hand hinein. Das Diktat fällt heute tatsächlich aus. Zu zweit geht es verdammt flott voran.

 

Im Konversationskurs zeige ich der Lehrerin ein Bild von einer Massenhochzeit in Harbin, die wohl anlässlich des Eisfestivals stattgefunden hat. Schön kitschig. Sie kennt das aber nicht. Sie nutzt aber gleich die Gelegenheit, um sich über Hochzeitsbilder auszulassen, die man in China meist mehrere Wochen oder Monate vor der eigentlichen Hochzeitsfeier anfertigen lässt. Hat was von Kostümparty. Man zieht allerlei vom Fotostudio verliehene Kleidungsstücke an, blinzelt verliebt in die Kamera, oder auch daran vorbei, und hinterher legen die ordentlich den Weichzeichner über das Drama. Fertig ist der Traum in pastell. Ihr Hochzeitsalbum lagert sie unter dem Bett. Sie hat es nie wieder angesehen. Und um es irgendwo anders hinzustellen, sei es zu dick. Mein Mitschüler meint, man könne es im Notfall nutzen, um ein zu kurzes Tischbein abzustützen.

 

Nach dem Unterricht gehe ich nach Hause zurück und mache mich an die Hausaufgaben. Abends ziehe ich noch einmal zu dem Restaurant, in dem ich am Samstag bereits war. Ich werde mit „Und was isst du heute so?“ begrüßt und schaue mir erst einmal die Karte an. Letztlich bestelle ich ein Nudel- und Gemüsegericht sowie einen Teller mit Sprossen. Ersteres bitte ohne Fleisch. Der Kellner kommt zwei Minuten nach meiner Bestellung aus der Küche zurück und will wissen, ob ich auch keinen Knoblauch will? Hm, wie manche Buddhisten. Ich nehme den Knoblauch.

 

 

Auf dem Weg nach Hause gehe ich dann noch schnell im Yolo-Supermarkt vorbei. Ich finde den Namen ja immer noch geil. Heute fällt mir zum ersten Mal auf, dass es Cola in der 888ml-Flasche gibt. Ob das die Sonderedition zum Chinesischen Neujahr ist?

05Januar
2020

Sitzplatz

Der Sonntag war nicht so spannend. Ich gehe dann abends doch noch los. Wenigstens noch kurz vor die Tür, um noch was zu essen. Weil ich nicht viel nachdenken mag, schnurstracks zu den Jiaozi. Ich bestelle und werde um die Ecke herum geschickt, wo etwas frei ist. Aber in den Augen des Kellners setze ich mich auf den falschen Stuhl am Zweipersonentisch. Er zeigt auf den anderen, will, dass ich mich dort hinsetze. Ich lehne ab. Er wiederholt sich. Ich wiederhole mich. Er haut mit der Karte zur Verdeutlichung auf den anderen Stuhl. Ich rede auf deutsch mit ihm. Dann zieht er ab.

 

Keine Ahnung, warum ich auf dem anderen Stuhl sitzen soll. Der Stuhl steht am Durchgang zum Klo mit Tresen im Rücken und Blick auf die essenden Gäste. Ich blicke aber lieber auf neu ankommende Gäste, die ihre Bestellung aufgeben, oder auf gehende, die ihre Rechnung begleichen, als auf schmatzende und Knochen abnagende Gäste. Und so besonders angenehm finde ich es auch nicht, wenn Leute sich hinter mit zum Klo durchquetschen. Oder hinter meinem Rücken reden. Der Kellner bringt ein Kännchen heißes Wasser und bald darauf die Jiaozi.

04Januar
2020

Konfuziustempel, Keller, Kichererbsen

Ich bin zur üblichen Zeit gegen halb sieben wach. Heute Nacht habe ich vergleichsweise gut geschlafen. Leider ist der Brummschädel mit mir aufgestanden. Ich mache mir erst einmal einen Kaffee. Draußen hat es noch frische minus sechzehn Grad, da muss ich nicht hetzen. Drum lasse ich den Morgen ruhig angehen, bis ich mich an ein bisschen morgendliches Sportprogramm wage. Das läuft auch tatsächlich ganz gut. Zumindest besser als erwartet.

 

Zum Frühstück gibt‘s Jiaozi auf Gemüsebett. Während der Topf auf dem Herd steht, gehe ich duschen. Tja, auf einmal ist es dann schön dunkel im Bad. Strom für den Herd auf Stufe sechs und einen heizenden Boiler ist wohl zu viel für verlangt.

 

Kurz vor zwölf breche ich auf, nehme den Bus in die Innenstadt. Heute will ich den Besuch im Konfuziustempel nachholen. Dafür muss ich wieder zu der Station fahren, an der ich letzte Woche schon war. Auch heute ist der Bis vergleichsweise voll. Ein kleines Mädchen schläft während der Fahrt ein, ein anderes schneidet mit mir um die Wette Grimassen. Die Mutter findet es lustig.

 

Ich steige aus und mache mich auf die letzten paar hundert Meter zum Tempel. Erst einmal über eine große Kreuzung, auf der ich einen Schnappschuss mache. Hier sieht man einen Boten auf einem Roller, der sicherlich gerade seinen chinesischen Traum verwirklicht. Nicht.

 

 

Dann weiter, vorbei an vielen kleinen Restaurants und Geschäften. Vor den Obstläden liegen schwarze Früchte. Birnen oder Äpfel, die in der Kälte gelagert wurden und deswegen schwarz geworden sind. Ist hier eine Spezialität. Dann geht es noch an einem Militärgelände vorbei. Kurz vor dem Tor sind gerade zwei junge Kerle mit ihren bunten Waschschüsseln unter dem Arm unterwegs. Sieht ganz lustig aus. Aber die petrolfarbenen Fellmützen der Luftwaffe sind farblich schicker.

 

Vor dem Konfuziustempel wiederholt sich das Spiel, das ich schon vom Heilongjiang-Museum kenne. Pass scannen, Eintrittskarte entgegennehmen. Es gibt noch eine Warnung, nicht zu nah an den Schalter heranzutreten dazu. Frisch gestrichen. Ich glaube, sie haben extra einen Warnenden abgestellt. Ich gehe hinein und muss meine Eintrittskarte gleich wieder abgeben. So spart man auch Papier.

 

Im Konfuziustempel, der in den 1920er Jahren erbaut wurde, befindet sich heute das Museum der nationalen Minderheiten der Provinz Heilongjiang. Das Museum ist in mehreren Gebäuden untergebracht, lediglich eines davon ist so etwas ähnliches wie halbwegs geheizt und die komplette Beschriftung, vom Wegweise zum Klo mal abgesehen, ist auf chinesisch.

 

 

Ich gehe erst einmal durch die Anlage hindurch und verschaffe mir einen kleinen Überblick. Auch hier ist nichts los, nur ein paar Leute sind unterwegs. Ich beginne meine Besichtigung im hintersten Gebäude, dem mit der Heizung. Man kann sich einen kleinen Film (ungefähr in diesem Stil) über die Ewenken ansehen, in dem die Minderheit in bunten Bildern und bei der Herstellung sogenannter Sonnenmädchen (taiyang guniang) vorgestellt wird.

 

In einem anderen Schaukasten kann man die im Norden wohnenden Minderheiten als Miniaturen bei ihren Freizeitbeschäftigungen bestaunen. Zwei dicke Männer boxen. Das sind Mongolen. Ich gehe weiter. Im nächsten Gebäude gibt es echte Bilder von echten Menschen die vielleicht sogar echt einer Minderheit angehören. Sie tragen alle irgendwelche Trachten. Oder auch oben ohne. So wie die beiden dicken Mongolen. Ähm, ja.

 

Unter den Fotos ist ein Boot ausgestellt. Es ähnelnd einem Kanu und ist aus Holz und irgendwas, das vielleicht Bast sein könnte, gefertigt. Zwei Frauen tauchen auf, es könnten Mutter, schätzungsweise über siebzig, und Tochter, schätzungsweise Mitte vierzig, sein. Die Tochter erklärt der Mutter alles. Das Boot, die Bilder von den Minderheiten, und auch dass China früher mal größer war, bevor es Teile des Landes verloren hat. Die Mutter nickt und macht Fotos. In einem anderen Gebäude sind Kleidungsstücke ausgestellt und ein paar Puppen, als Ewenken gekleidet, sitzen vor einem Zelt. Ich verlasse die Anlage und gehe zum Mittagessen. Es gibt ganz frische Nudeln mit Gemüse.

 

Vom Restaurant aus gehe ich ein Stück zu Fuß zurück. Auf dem Hinweg habe ich gesehen, dass es entlang der großen Straße wieder unterirdische Einkaufspassagen geben muss. Ich will mal schauen, was es da so gibt. Also gehe ich erst einmal einige Minuten zu Fuß. Die Straße zu überqueren wird dann noch ganz spannend, denn die Fußgängerampel und die für die Fahrzeuge sind gleichzeitig grün bzw. rot. Ich gehe einfach mal den anderen Passanten hinterher.

 

Der Untergrundmarkt beginnt mit einer Lebensmittelabteilung. Es ist praktisch eine langgezogene Markthalle, in der alles mögliche feilgeboten wird. Obst, Gemüse, Backwaren, frisches Meeresgetier, Fleisch. Es gibt auch einen kleinen Speisebereich. Und einen Laden, der getrocknete Waren verkauft. Ich nehme ein Tütchen Kichererbsen mit. Dann geht es mit der Bekleidungsabteilung weiter. Und mit etwas Spielzeug. Plötzlich taucht eine Rolltreppe und eine zweite Etage auf.

 

Im zweiten Untergeschoss befindet sich eine Art Antiquitätenmarkt. Hier gibt es allen Ramsch, den man schon immer mal nicht besitzen wollte. Propagandaposter, Vasen, Anstecker, Blumentöpfe, Singvögel in kleinen Käfigen, Geldscheine, Bierflaschen aus aller Welt (Keiler!), Bücher. Die Hälfte der mit Glaswänden voneinander abgetrennten Läden ist ohnehin geschlossen. In den anderen sitzen meist gelangweilt wirkenden Männer mittleren Alters, die sich oft genug nicht an das geltende Rauchverbot halten. Ich fahre wieder hoch.

 

Dann gehe ich noch ein Stück an Bekleidungsgeschäften vorbei. Und komme der U-Bahn-Station näher. Hier gibt es Fastfoodtempel und nochmal eine Rolltreppe nach unten. Mal sehen, was dort ist. Ein Schild weist auf Sport hin. Im Keller? Unten angekommen finde ich, hinter Glas, ein Taekwondostudio mit ein paar kleinen Kindern drin, die gerade trainieren. Ich beneide sie ja durchaus um ihren Mattenboden und ihre Spiegelwand. Ich gehe weiter. Mitten in der sonst verlassenen Passage stehen Tischtennistische, um die herum Chines*innen mittleren und höheren Alters Tischtennis spielen. Alle nicht sonderlich gut, die Bälle fliegen munter durch die Gegend, aber bei sonderlich guter Laune. Ich muss grinsen. Wieder oben angekommen, nehme ich den nächsten Bus nach Hause zurück.

 

Der Nachmittag vergeht, es wird Abend. Auf zum Abendessen. Während ich die Straße herab gehe, überlege ich, was es denn sein soll. Den Straßenrand säumen in erster Linie Nudelbuden. Darauf habe ich keine Lust. Ähnlich verhält es sich mit Gegrilltem oder Feuertopf. Schließlich entscheide ich mich einfach mal ein Restaurant zu betreten, vor dem ich schon häufiger stand. Direkt am Eingang lasse ich mir die Karte geben. Viele bunte Bildchen. Die Spezialität sind Fleischberge. Aber nachdem sie auch noch was anderes haben, bestelle ich Tofu und Eierfrucht und setze mich hin.

 

Man zahlt vier Yuan extra, dafür gibt es Reis so viel man will und alkoholfreie Getränke zum Selberzapfen. Und Popcorn ist auch dabei, wenn man mag (und noch welches da ist). Ich nehme erst einmal irgendwas mit Zitrone und dann Sprudelwasser. Das erste Wasser mit Kohlensäure seit über einem Monat. Tofu und Eierfrucht kommen in hübschen Schalen. Der Tofu ist gut, allerdings mal wieder nicht scharf.

 

Das Pärchen am Nachbartisch bestellt das siebte Bier. Pro Person. Sie meint, das sei dann aber das letzte. Alkohol trinkende Frauen sieht man ja schon selten, so viel trinkende so gut wie nie. Als sie zum Klo geht, versucht er sie zu begleiten, was aber nicht so recht gelingen mag. Er wankt etwas. Sie schickt ihn zum Tisch zurück.

03Januar
2020

Kochkünste

Heute Morgen sitze ich erst einmal allein mit meiner Lehrerin im Klassenraum. Sie scheint das alles andere als schlecht zu finden und bläst gleich mal das Diktat ab. Die anderen, also insgesamt drei, trudeln dann doch noch nacheinander ein. Eine hat heute gleich zwei Becher Kaffee mit dabei. Vielleicht ist sie heute extra müde. Weil die anderen jetzt doch gekommen sind, gibt es doch noch Diktat.

 

Meine Lehrerin will wissen, wie lange ich in Harbin bleibe. Und was ich dann nach dem Sprachkurs mache. Als ihr dämmert, dass das nur für ein paar Wochen ist, ist sie doch etwas erstaunt. Man muss sich im Urlaub doch erholen und nicht fleißig lernen. Meinen Einwand, fleißig lernen könne man das, was ich hier mache, ja wohl kaum nennen, will sie nicht gelten lassen. „Erholen“ ist neben „beschäftigt“ und „Sicherheit“ definitiv ein weiteres Reizwort für mich. „Erholen“ ist irgendwie die kleine, nette Schwester von „lass mich in Ruhe“ wenn man es über sich selbst sagt. Was es so als Handlungsanweisung an andere bedeutet, ist mir manchmal etwas schleierhaft.

 

Danach geht‘s erst einmal weiter mit dem Thema Selbststudium bzw. sich selbst Kenntnisse aneignen. Jede*r darf mal erzählen, was er oder sie sich so selbst beigebracht hat. Die Lehrerin steuert kochen bei. Mein neuerdings im Selbststudium Deutsch lernender Mitschüler reist jetzt übrigens erst einmal nach Peking. Er muss sich mal dringend ausruhen. Wie lange ist ungewiss. Immerhin lernt er jetzt seit August ohne Pause. Also mal abgesehen von den Wochenenden und den bestimmt zwei Tagen pro Woche, die er fehlt. Aber sein eigentliches Ziel ist es in Peking gut Deutsch zu lernen. Dann viel Glück!

 

Und dann will meine Lehrerin noch gern wissen, was meine Mitschülerin eigentlich studiert. Wirtschaft. Und in welcher Sprache. Englisch. Und warum in China. Ah, und gar nicht in Harbin. Und ob sie dann später mal in China arbeiten wolle. Na vielleicht. Nee, das solle sie mal bloß nicht machen, viel zu anstrengend. Da ist man die ganze Zeit über total beschäftigt. Reizwort zwei. Jetzt brauche ich nur noch meine tägliche Dröhnung Sicherheit.

 

Im Konversationskurs kommen wir dann auch auf Essen kochen zu sprechen. Die Lehrerin erzählt, dass sie immer im Internet nach Rezepten suche, weil sie nicht kochen könne. Das scheint hier typisch zu sein. Also nicht das Suchen nach Rezepten im Internet, sondern die Unfähigkeit sich etwas zu essen zuzubereiten, das über Nudelsnacks und, äh, und Nudelsnacks hinausgeht. Ich mache das nach dem Unterricht gleich mal nach und nehme mit in der Markthalle eine Portion kalte Nudeln mit Gemüse mit nach Hause. Man sollte sich ja auch ein bisschen an die Umgebung anpassen.

 

Mit Kaffee und Kopfschmerzen geht‘s an die Hausaufgaben. Mit Begeisterung entnehme ich der Wettervorhersage, dass für die nächste Woche lediglich einstellige Minusgrade vorhergesagt werden. Bisschen Bewegung, bisschen Abendessen, bisschen erholen und dann bisschen versuchen einzuschlafen. Letzteres während die Nachbarn nach dreiundzwanzig Uhr noch einen gepflegten Familienstreit austragen, ich verstehe aber leider durch die Wände nicht worum es geht, und die Kerle im Hof eine Demonstration ihres deutlich zu hohen Blutalkoholgehalts geben. Irgendwann schlafe ich ein.

02Januar
2020

Brummschädel

Heute Nacht habe ich von Pizza geträumt. Von knuspriger Pizza mit ganz dünnem Teig und einem Belag aus frischen Tomatenstücken. Und mit Basilikum. Hm. Ich koche einen Kaffee mit dem lädierten Wasserkocher und schicke Ayi eine Nachricht. Sie wirkt nicht so begeistert. Aber ich habe die Schrauben nicht gelockert. Morgen gibt es angeblich einen neuen. Wunderbar. Weniger wunderbar ist mein Kopf. Der tobt.

 

In der Sprachschule wimmelt nur so von Leuten, scheinbar sind einige neu angereist. Überall unbekannte Gesichter, die fleißig Formulare ausfüllen. Mich interessiert eigentlich erst einmal nur der Wasserspender, damit ich irgendwie die Erkältung wegtrinken kann. Meine Lehrerin fragt auch in den ersten fünf Minuten des Unterrichts, was mir denn los sei. Ich sähe irgendwie platt aus. Recht hat sie. Die Schmerztablette will noch nicht wirken. Sie schickt Bilder irgendeiner chinesischen Erkältungsmedizin in unsere Chatgruppe.

 

Im Konversationskurs gibt‘s heute richtig Konversation. Und wir kommen ständig vom Thema ab. Was ich nicht so sonderlich tragisch finde. Witziger finde ich eher, wie ähnlich sich entfernte Sprachen dann doch sind. Ein Schweinenest ist eine dreckiges Zimmer bzw. eine dreckige Wohnung. Kommt bekannt vor? Den Saustall kennen wir ja so auch. Eine kleine Wohnung ist ein Hundenest. Und das Hühnernest ist eine Strubbelkopffrisur. Und was passiert, wenn man in ein Hornissennest sticht, könnt man sich auch denken.

 

Abends mache ich einen Spaziergang über das Unigelände nebenan und ein paar Fotos der inzwischen fertig bearbeiteten Eisblöcke. Danach springe ich schnell in den Supermarkt, kaufe Getränke und einen Beutel mit Yams-Chips. Die bestehen zwar auch in erster Linie aus Kartoffelflocken, aber was soll‘s. Und sie schmecken nach Süßstoff, der sich dann auch prompt auf der Zutatenliste findet.

 

Oh, wie schön kitschig!

01Januar
2020

Neujahrsmorgen

Ein frohes neues Jahr! Wünscht es sich dieses Jahr im Abstand von sieben Stunden gleich zweimal. Einmal vor dem (nächsten) Einschlafen und einmal für mich dann zum Frühstück.

 

Mein Neujahrsmorgen begrüßt mich mit blauem Himmel, Sonnenschein und superlauschigen fünfzehn Grad unter Null. Ich koche Kaffee und verarbeite Bananen und Drachenfrucht, diesmal die weißfleischigen, mit Sojamilch zu Smoothie. Die leicht dunkelgelben Bananen gibt‘s zum halben Preis der gelbgrünen. Und man muss sie nur vier bis fünf Tage statt zehn liegen lassen, bis man sie dann mal essen kann. Ich mache endlich die Mütze fertig. Sozusagen Neujahrsmorgenbeschäftigungstherapie.

 

Zum Halskratzen gesellt sich inzwischen eine dauerlaufende Nase, was mir das Dauerlaufen noch mehr verleidet als die Außentemperaturen. Ich sehne mich nach Wald. Nacken und Rücken sind auch weiterhin verspannter, als mir das passt. Also trainiere ich gemächlich und gemütlich in meinem Zimmer vor mich hin. Irgendwann krame ich dann auch endlich die Sachen heraus, die ich erledigen muss und zwänge und zwinge mich hinter den Schreibtisch. Wenn ich dann mal anfange, läuft es ja und macht auch Spaß.

 

Abends gehe ich noch kurz auf einen Teller Jiaozi vor die Tür, auf den ich allerdings fast eine halbe Stunde warten muss. So viel zu kurz. Während meiner Wartezeit versüßen sich die dort (Un-)Beschäftigten die Zeit mit Videos Schauen. Manchmal nervt die Geräuschkulisse schon. Der Abend endet wieder mit Bauchweh. Ob doch der Schnittknoblauch schuld ist?

 

Zu Hause angekommen kippt der Boden vom Wasserkocher ab und baumelt nur noch an zwei Drähten. Ah, da sind auch die Ursachen der Klappergeräusche, ich hatte mich schon länger gewundert. Drei einsame Muttern, die sich gelöst haben. Morgen werde ich Ayi bescheid geben.