Berichte von 12/2019

31Dezember
2019

Einen guten Beschluss!

Gestern konnte ich nicht einschlafen. Das ist eher neu. Nachts wach werden oder früh aufwachen war bisher eher üblich. Ich stehe vergleichsweise spät auf und mache mir einen Kaffee. Inzwischen kratzt mir auch der Hals. Na toll. Und verspannt bin ich auch noch. Ich packe meinen Kram ein und machen den üblichen Baozieinkauf.

 

Silvester ist hier ein gänzlich unspektakulärer Arbeits- oder Schultag. Ohne Hamsterkäufe, weil man ja morgen verhungern könnte. Morgen sind die Läden allerdings auch nicht zu. Trotzdem wird an der Sprachschule natürlich schon seit Tagen diskutiert, was man heute Abend unternehmen könne. Es reicht von schlafen gehen bis sich abschießen. Eines ist sicher: Ersteres dürfte problemlos möglich sein, geböllert wird nicht. Letzteres dürfte auch problemlos möglich sein, Alkohol gibt es fast überall.

 

Meine Lehrerin meint, das westliche Neujahr zu feiern sei irgendwie unnötig, wenn das Frühlingsfest ohnehin ein paar Wochen später sei. Aber über den freien Tag morgen beschwert sie sich dann auch nicht. Sie ist sich nur nicht sicher, ob sie den fehlenden Mitschüler, der seit vorgestern Deutsch lernt, daran erinnern soll, dass er morgen nicht erscheinen muss. Meine andere Mitschülerin erzählt von ihrer neuen Mitbewohnerin. Die sei erst sechzehn und ein Baby. Sie habe gestern gefragt, ob sie auf ihrem Zimmer auch essen dürfe. Immerhin bin ich nicht die einzige, die sich hier gelegentlich wie im Kindergarten fühlt.

 

Als ob das Halskratzen und die laufende Nase nicht schon nervig genug wären, gesellen sich gegen Mittag dann noch Bauchschmerzen mit hinzu. Ich habe so Hunger, gehe nach dem Unterricht schnurstracks zur uigurischen Nudelbude und bestelle einen Teller frischer Nudeln mit Gemüse. Am Tisch neben mir sitzt eine Frau und schaut beim Essen Videos. Mit Ton. Ohne Kopfhörer. Ganz große Klasse!

 

Die Bauchschmerzen verschwinden zwar wenigstens halbwegs mit dem Mittagessen, aber begeistert bin ich nicht. Der Nachmittag ist auch entsprechend. Und ich verkrieche mich noch vor zwanzig Uhr mit einer Kanne Tee im Bett. Alles ruhig, bis auf ein tieffliegendes Flugzeug, das ich aus Gewohnheit dann doch für Geböller halte, weil es so niedrig fliegt und deshalb so hell erscheint, und das gelegentliche Brummen das Handys.

30Dezember
2019

1, 3, 6, 12, 14, 16, 21

Die Woche beginnt mit einem Schlafdefizit, morgendlicher Eile, niesen, weiterhin Muskelkater, keinem Kaffee und dem üblichen Baozikauf. Die Erkältung meines Mitschülers ist etwas besser geworden. Er sammelt nun zwei Stunden lang die benutzten Taschentücher unter seinem Stuhl. Noch besser, als auf dem Tisch, wie es die andere macht. Was man ekliger findet, das eine, das andere, oder sie sich in die Hosentasche zu stecken, ist wohl eine Frage der Kultur, die einen prägte.

 

Es ist ohnehin ganz spannend, wie hier vermeintliche Grenzen verlaufen. Sie verlaufen nur oberflächlich betrachtet zwischen den Lernenden aus dem Osten und dem Westen, sondern eher zwischen denen, die einen erfolgreichen HSK-Test für die Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums in China brauchen und denen, bei denen das nicht der Fall ist. Und die zukünftigen Student*innen sind dann eben vermehrt die Koreaner*innen. Für die ist das Studium in china billiger als in der Heimat. Bei den Russ*innen, die locker mehr als die Hälfte der „Westler“ ausmachen, dürfte die Rate so bei 50:50 liegen. Auch mitunter aus Kostengründen. Oder weil sie Stipendien erhalten. Also strenggenommen auch dann aus Kostengründen. Meine koreanische Mitbewohnerin ist vom Reden im Konversationskurs total genervt. Aber das Prüfungsvokabular büffelt sie fleißig. Dafür schreibt sie sich nichts auf, was nicht dazu gehört.

 

Mein anderer Mitschüler fragt, ob ich ihm ein paar Cartoons zum Deutschlernen empfehlen könnte. Öh, ja, nö. Oder Videos. Ich frage ihn nach seinem Deutschniveau. Er meint, er habe gestern Abend mit dem Lernen angefangen. Alles klar. Vielleicht gibt‘s da was von, nein, nicht ratiopharm, der Deutschen Welle.

 

Mittags kaufe ich neues Gemüse und schaffe es auch gleich erfolgreich, zu viel davon zu essen. Das macht platt und müde und das passt mir so überhaupt gar nicht. Die am Wochenende gekauften violetten Kartoffeln entpuppen sich doch als Süßkartoffeln. Und werden beim Kochen ganz dunkel. Und da vom Mittagessen noch genug für das Abendessen da ist, gibt es den Gemüsetopf von mittags gleich noch einmal. Und auf Herdplattenstufe zwölf haut es die Sicherung raus. Auf sechs nicht. Es gibt 1, 3, 6, 12, 14, 16, 21. Ich weiß nicht warum. Abends sinkt das Thermometer auf minus vierundzwanzig Grad. Das ist schon ganz schön kalt.

29Dezember
2019

Tempeltour

Der Schneeschippwecker geht gegen sechs. Ich muss gar nicht aus mehr dem Fenster schauen um zu wissen, ob oder dass es geschneit hat. Als ich es dann doch tue, blicke ich auf gut sieben bis acht Zentimeter. Und es schneit weiter. Ich stehe auf und mache mir einen Kaffee. Und ich habe arschigen Muskelkater. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Heute komme ich etwas früher los als gestern. Mit Baozi im Gepäck besteige ich den Bus in Richtung Innenstadt. Ich will mir einen Tempel ansehen. Der Bus ist voll, ein Junge mit einer Wurst auf einem Schaschlikspieß quetscht sich an mir vorbei. Die Straße ist voller Neuschnee, wir stehen im Stau. Obwohl hupen den Verkehr nun auch nicht beschleunigt, wird fleißig gehupt.

 

Ich steige nach etwas über einer halben Stunde Fahrt aus dem gut geheizten Bus aus und mache mich zu Fuß auf die letzten paar hundert Meter. Es schneit weiterhin. Vor dem Tempel gibt es allerhand kleine Läden, die allerhand Dinge verkaufen, die man wohl zur Religionsausübung benötigen könnte. Die Menschen fegen die Gehsteige davor. Ich schaue nur von außen durch die Fenster und stelle etwas verwundert fest, dass sich nicht unweit von mir ein Riesenrad befindet.

 

Die Eintrittskarte zum Tempel gibt‘s für zehn Yuan. Innen drin verkaufen sie Räucherstäbchen. Ich gehe durch die ungeheizten Gebäude. In einem hängen Verhaltensregeln für die Angestellten aus. Bitte beim Arbeiten nicht laut reden und das Essen aufessen. Es ist nicht viel los. Touristen*innen scheinen kaum da zu sein, die allermeisten Besucher*innen sind wohl Gläubige. Und die anderen anwesenden Personen entweder mit dem Kehren und Schippen der Wege beschäftigt, Sicherheitspersonal oder Mönche. Am hinteren Ende dessen, was ich zu diesem Zeitpunkt noch für das hintere Ende des Tempels halte, werde ich ganz ungefragt hinter eine Absperrung geschickt und darf mir alles ein bisschen näher ansehen. Sonst hat sich da auch keiner hinverirrt.

 

 

Ich gehe wieder nach vorne zurück. Meine Füße sind ein bisschen kalt und ich muss auf‘s Klo. Eine Frau in einem übergroßen dunkelgrünen Mantel spricht alle Besucher an und will sie zum Essen schicken. Ich will jetzt aber erst auf‘s Klo. Es gibt eine öffentliche Toilette ohne Türen mit Rinne. Wer ein großes Geschäft verrichten muss, soll bitte ganz nach hinten gehen. Steht in großen, roten Zeichen an der Wand.

 

Danach gehe ich dann zurück. Die Frau spricht mich noch einmal an. Also gut, dann schau ich mal, was es da gibt. Zwischen zwei Gebäuden geht es entlang, bis am Ende des Ganges eine Tür in das linke Gebäude führt. Mir kommen ein paar Arbeiterinnen entgegen. Es geht die Treppe herunter. Ich bin etwas skeptisch und bleibe stehen. Sekunden später schickt mich eine ältere Frau weiter, ich solle doch da runter gehen. Alles klar. Das fühlt sich trotzdem seltsam und auch irgendwie unpassend an. Unten angekommen stehe ich plötzlich in einem Speisesaal. Hinten kann man sich Geschirr und Stäbchen nehmen, in der Mitte des Raumes befinden sich Tische und Bänke und vorn eine Essensausgabe. Ich habe nur einfach noch überhaupt keinen Hunger. Aber es ist hier unten wunderbar warm.

 

Also setze ich mich hin und beobachte das gesellige Treiben. Das Schweigegebot an der Wand scheint eher ein Handlungsvorschlag als eine festgesetzte Regel zu sein, dennoch ist es hier bedeutend ruhiger als an vielen anderen Orten. Und am Handy hängt zur Abwechslung auch mal niemand. Es gibt Mantou, Suppe und irgendwas, das nach Sauerkraut oder Kartoffelstreifen aussieht. Ein Mann will wissen, wo ich herkomme. Und erzählt mir, sie äßen hier alle kein Fleisch. Außerdem interessiert er sich dafür, woran ich glaube. Und eigentlich findet er es wohl auch egal, woran man glaubt, Hauptsache man glaubt an irgendwas.

 

Als mir wieder wärmer ist, beschließe ich weiter zu gehen. Die hintere Tür ist nun geschlossen, man muss an der Küche vorbei über eine kleine Treppe hinaus und steht dann fast da, wo kurze Zeit zuvor noch die Frau die Besucher*innen in den Keller schickte. Ob sie einfach alle einladen, wenn die Arbeiter*innen Mittagspause machen? Mir fällt nicht zum ersten Mal heute auf, dass ich reichlich wenig über den Buddhismus weiß.

 

 

Ich gehe nach rechts weiter und stelle fest, dass das Gelände doch um einiges größer ist, als ich angenommen hatte, und sich der Hauptteil der Anlage und ein weiterer Eingang gut zweihundert Meter weiter befinden. Es schneit weiter. Überall wird fleißig Schnee geschippt und gefegt. Ich hätte fast Lust mitzumachen, denn das hält bestimmt warm. Zumindest wärmer als Fotos zu machen, wofür ich immer die Handschuhe ausziehen muss. Von einem erhöhten Gebäude aus kann man über eine Mauer in die angrenzende Anlage blicken. Das könnten Unterkünfte sein.

 

 

Nachdem ich die Anlage verlassen habe gehe ich in Richtung Riesenrad weiter. Den Wegesrand säumen jetzt nicht mehr nur die Läden der Ladenzeile auf der rechten, sondern noch eine wilde Ansammlung von kleinen, abgestellten Verkaufswagen auf der linken Seite. Ich nehme an, im Sommer ist hier deutlich mehr los. Und ich stelle ein paar Meter weiter fest, dass die vor Kurzem noch für Unterkünfte gehaltenen Gebäude, zu einem weiteren Tempel gehören. Gehe ich halt mal rein.

 

Die Anlage macht einen familiäreren Eindruck auf mich. Einige Menschen brennen Räucherstäbchen ab, auch hier wird der Schnee weggefegt. Ein kleiner Junge hilft mit. Es ist noch weniger los, es ist aber auch deutlich kleiner. An der Wand hängt ein Plakat, dass die Mönche und Nonnen des Klosters vorstellt. Ich bin leicht irritiert. Frauen und Männer in einer Anlage? Vielleicht habe ich auch was missverstanden

 

Nach ein paar Minuten verlasse ich die kleine Anlage auch schon wieder und wende mich weiter in Richtung Riesenrad. Ich stehe praktisch nach dem Verlassen des kleinen Tempels ja praktisch schon direkt vor dem Eingang zum Freizeitpark. Die Tür ist geöffnet, ein Mann kehrt Schnee weg. Ich blicke etwas irritiert durch das Tor und den Torbogen. Hinter mir kommen zwei Mönche an, die das Tor einfach passieren. Und ich beschließe ihnen zu folgen.

 

 

Der Weg führt auf ein verfallenes Gebäude zu, das sich als russisch-orthodoxe Kirche der 1930er Jahre entpuppt. Ungefähr 200 Meter weiter ist der Eingang zum Riesenrad. Ich mache eine kleine Runde über den Park, dessen Fahrgeschäfte im Winter natürlich nicht in Betrieb sind, stapfe durch den Schnee, passiere eine Achterbahn, und gehe dann zu einem anderen Tor wieder hinaus. Ich habe Hunger. Und kalt ist es auch.

 

Hinter dem Tor ist auch gleich die nächste Bushaltestelle, doch eigentlich will ich gern erst etwas essen und dann weiter zum Konfuziustempel. Um die Ecke finde ich ein kleines Restaurant, das Essen im Steinguttopf serviert. Ich nehme das Gemüsegericht und wärme mich auf. Die Morcheln habe ich leider auf dem Foto übersehen, und nur Gemüse reicht gerade auch nicht, also noch eine Schüssel Reis dazu und ordentlich Chiliöl hinein. Das macht mich satt und der volle Bauch macht müde und Lust auf noch mehr Tempel und Museen habe ich jetzt echt nicht mehr. Mit dem nächsten warmen Bus geht es heim.

28Dezember
2019

Heilongjiang Museum

Der Morgen beginnt mit Kaffee und ohne Baozi. Nanu, was ist los? Wochenende! Ich habe gestern noch eine Art Fladenbrötchen gekauft, das ich mit Erdnussbutter ummantle (weil bestreichen irgendwie untertrieben ist), dazu gibt es, was der Kühlschrank sonst noch so hergibt. Die Sojamilch habe ich auf dem Balkon vergessen, wo sie sich über Nacht in ein Sojaeis verwandelt hat. Sie zieht dann zum Aufwärmen in den Kühlschrank um. Danach erkläre ich dann auch die Gammelwoche für beendet.

 

Ich verbringe den Vormittag mit Wäsche waschen, Sport und meiner Wolle. Wäsche waschen klappt, sportlich gesehen wird es mit der Zeit besser und was die Wolle anbelangt, habe ich jetzt auch endlich eine passende Idee, die nicht mehr total katastrophal aussieht. Draußen ist es grau in grau. Das ist wahrlich mega motivierend das Haus zu verlassen, aber ich habe ja beschlossen nicht mehr zu gammeln. Also mache ich noch was zum Mittagessen warm und gehe dann raus.

 

Ich nehme den Bus in Richtung Museum. Ich weiß aus dem Internet, dass es pro Tag drei Schichten an Eintrittskartenausgaben von je 500 Karten gibt. Man kann auch reservieren. Da ist aber momentan noch ordentlich Luft nach oben. An der Aussteigehaltestelle plärrt mir Jingle Bells mit chinesischem Text aus einem Sockenladen entgegen. Juhu! Ich muss noch über bzw. unter der Straße durch, dann stehe ich vor dem Museum. Händler versuchen direkt vor der Eingangstür ihre Haselnüsse an Mann und Frau zu bringen. Rechts gibt es Tickets. Die Frage nach dem Eintrittspreis bekomme ich nicht beantwortet, dafür scannt man meinen Pass und es gibt das Ticket so. Das gilt für alle. Dann darf ich meinen Rucksack röntgen lassen, eine pseudowichtige Kontrolle mitmachen, Polizeiausrüstung, einschließlich Schilde passieren, und dann geht‘s los.

 

Im Museum befindet sich im zweiten Stock eine Ausstellung über Knochenfunde von Tieren aus längst vergangenen Zeiten. Der naturkundliche Teil. Dinosaurier und Mammuts, aber aber irgendwelche Tiere, die wie die Vorfahren von Rotwild aussehen. Hier sind viele Familien mit Kindern unterwegs. Weiter hinten zeigt die Ausstellung dann Ausgrabungen von Gefäßen. Die gefundenen Scherben wurden mit einer weißen Masse, die die fehlenden Teile ersetzt, zusammengefügt. Sieht echt katastrophal aus.

 

Es geht weiter mit der Geschichte der Provinz Heilongjiang, bzw. eben damit, was früher an diesem Ort war. Hier gibt es Waffen, Schmuckstücke, Kanonenrohre, Bilder, Geschirr und noch so einiges mehr in den Vitrinen zu bestaunen oder zu ignorieren. An der Wand hängt dann auch eine Karte des Qing-Reiches (1644-1911). Die Karte zeigt auch die Inseln, einschließlich der Neun-Striche-Linie, die China im Südchinesischen Meer für sich beansprucht. Was die Qing so nie taten. Ganz spannend, wie die Geschichte da mal wieder kreativ hingebeogen wird. Im letzten Raum kann man dann noch etwas über die russisch-chinesischen Beziehungen vor dem 20. Jahrhundert erfahren, bis es ein Stockwerk weiter unten über Russen in Harbin weiter geht.

 

Ab hier ist das Museum weitestgehend dreisprachig gehalten: russisch, chinesisch und englisch. Das scheint mir auch der deutlich neuere Teil der Ausstellung zu sein. Die Entwicklung Harbins ist ja deutlich mit der Entwicklung und dem Bau der Ostchinesischen Eisenbahn verbunden, die schon Ende des 19. Jahrhunderts die ersten russischen Arbeiter nach Harbin brachte. Und Wurst! Das ist einfach ein bisschen kürzer gewesen, direkt durch die Mandschurei nach Wladiwostok zu bauen, als außen herum. Was später dennoch geschah.

 

Sie kamen in ein Harbin, das damals eher eine Ansammlung von Dörfern als eine Großstadt war, und von den Neuankömmlingen mitgeprägt wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen dann, aus „historischen Gründen“, wie es Museum so schon heißt, immer mehr Ausländer an. Aus dem Blickwinkel des Museum heraus betrachtet, hatten sie wohl meist mit Architektur, Musik, Kirchenbau, Unterrichtswesen und Zigaretten zu tun. Ach ja, und Tiere dürften sie auch ausgestopft haben. Bis sie dann, aus „historischen Gründen“, Harbin wieder verlassen haben. Die Kinder finden das alles nicht so spannend und rennen herum.

 

Ich kaufe ein Kartenspiel mit Bildern von Gebäuden in Harbin und ein Set mit Postkarten, das Verkehrsmittel zeigt. Weil ich nicht das teurere nehme, ist die Frau am Verkaufsschalter wohl etwas motzig und lässt mich das andere nicht mehr ansehen. Zeit zu gehen.

 

Ich will noch zu Carrefour und meine Vorräte etwas aufstocken. Auf dem Weg durch die Unterführung stelle ich fest, dass ich in einem unterirdischen Einkaufszentrum gelandet bin. Und zwar im Teil und Stockwerk für Damenoberbekleidung. Eins tiefer gibt es dann Damenhosen. Irgendwo gibt es Schuhe und die Männereinkaufsstadt liegt auch noch anderswo. Das wäre ja eine gute Gelegenheit noch ein oder zwei T-Shirts nachzukaufen, aber Klamotten kaufen ertrage ich in China eigentlich nicht. Sobald ich den Arm ausstrecke und irgendetwas berühre, werde ich förmlich angesprungen und in den Laden gezerrt. Das ist heute nicht anders. Also ziehe ich ab.

 

Bei Carrefour passiert das natürlich auch gleich noch einmal. Und irgendwie gibt es auch absolut kein Hilfsmittel dagegen. Meist dauert es keine zehn Minuten, da wandelt sich mein Wunsch ein Kleidungsstück zu erwerben in den Wunsch, doch lieber mit einem Boxsack heimzukehren. Also kaufe ich Kaffee und neue Erdnussbutter und eine Sprite mit Kokosgeschmack und ohne, welch Wunder, Zucker. Bei den Fettmengen im Essen, der Fülle an Snacks und Süßigkeiten (man kann hier allen Ernstes am Topfboden festgebrannten Reis in Portionsgrößen in Plastik eingeschweißt kaufen) und all den süßen Getränken wundere ich mich ohnehin regelmäßig, dass es nicht noch deutlich mehr deutlich dickere Chines*innen gibt. Ich fahre heim, esse eine halbe Tüte Salat und gehe dann zum Jiaoziladen.

27Dezember
2019

Süße rote Bäckchen

Morgens gibt‘s wieder Kaffee, Sojamilch, Baozi. Kurz nach Beginn unserer ersten Unterrichtsstunde kommt ein neuer Mitschüler hinzu. Er ist aus Korea und er trägt Mundschutz, ein Zeichen dafür, dass er erkältet ist. Die Lehrerin fragt ihn irgendwann später, ob er Fieber habe. „Nur ein bisschen!“ Sie findet das süß. Ihr Kleinkind hat nämlich auch immer rote Bäckchen und rote Öhrchen, wenn es fiebert. Ich finde das gar nicht süß und würde den Typ am liebsten in sein Bett beamen.

 

Meine andere Mitschülerin erzählt, man habe sie nicht in ein Museum gelassen, weil sie kein chinesisches Ausweisdokument dabei gehabt habe. Klar, besitzt sie ja auch nicht, sie hat ja keine chinesische Staatsbürgerschaft. Ich will morgen eigentlich auch zu dem Museum. Mal sehen, ob sie mich reinlassen. Bei mir ist eigentlich ziemlich offensichtlich, dass ich höchstwahrscheinlich keinen chinesischen Ausweis besitze.

 

Im zweiten Kurs behandeln wir weiter Lebensträume. Also eigentlich vor allem den nach mehr Einkommen, einem Auto, einer Wohnung und so. Und der Quotenausländer, der China verstehen will, um dann dort später Handel zu treiben und für gute bilaterale Beziehungen zu sorgen, darf natürlich auch nicht fehlen. Dafür büffelt er und hat auch schon viele chinesische Freunde mit denen er ganz viel Spaß hat. Soll bestimmt ein Anreiz und Vorbild für uns sein, uns auch fleißig anzustrengen. Es sind ja ohnehin immer alle total beschäftigt. Hier vor allem die Damen in Stockwerk eins und sechs, die immer total beschäftigt an ihren Smartphones hängen. Oder sich alternativ total beschäftigt schminken. Das geht auch mit Hilfe des Smartphones gleich viel besser.

 

Nach dem Unterricht gehe ich in die Markthalle, kaufe am Tofustand irgendwas, das vielleicht Ente (?) imitieren soll, eine Tüte voller Gemüse und eine Art Wrap mit Kartoffelstreifen und Tofuhautsalat drin als Mittagessen. Den Nachmittag habe ich dann erneut, total beschäftigt, vergammelt. Den Tüteninhalt gib‘s zum Abendessen, dann geht‘s ins Bett. Morgen ist Wochenende. Ich brauche Schlaf!

26Dezember
2019

Tütensuppe

Im Treppenhaus riecht es morgens nach Räucherstäbchen und es ist Wasser versprenkelt worden. Ich rutsche zum Baoziladen und dann zur Sprachschule hinüber. Der Vormittag vergeht mit Unterricht. Da die eine Lehrerin heute nicht kann, ist eine Vertretung erschienen. Die ist etwas anstrengend, ich fühle mich in eine Kindergartengruppe zurückversetzt. Sie fragt ständig, ob wir sie verstehen und lobt so dermaßen überschwänglich, dass es fast schon zynisch wirkt. Im anderen Kurs geht es jetzt um Lebensträume. Das wird bestimmt noch lustig werden. Meine Mitbewohnerin taucht immerhin gegen elf Uhr auf. Zur Zeit treibt sie sich irgendwie herum.

 

Mittags gehe ich essen. Ich bestelle Nudeln mit Gemüse und Fischtofu, in dem angeblich kein Fisch ist. Und noch ein Tellerchen mit Tofuhaut und Kartoffelstreifen. Der alte Mann, der zum Nudelladen gehört, spricht auch über Russland. Plötzlich steht eine Schüssel Suppe vor mir. Verdammt, da bin ich beim Bestellen in der Kategorie verrutscht. Normalerweise bestelle ich keine Nudelsuppen. Einerseits, weil ich sie nicht so gern mag und andererseits auch, weil man sie so schlecht mitnehmen kann. Aber da ich gut zwei Drittel nicht schaffe, nehme ich sie heute eben doch mit. In einer Tüte. Das sieht vielleicht aus. Im Hausflur treffe ich die Nachbarin von unten drunter, die etwas erstaunt auf meine Tüte starrt und fragt, was ich denn da drin habe. Und in der Küche angekommen entsorge ich den „Tofu“, der total nach Fisch schmeckt und riecht, steche Löcher in die Tüte und lasse die Suppe ab, um die Nudeln nicht ganz durchweichen zu lassen. Ab mit dem Zeug in den Kühlschrank.

 

Meinen Nachmittag verbringe ich mit meiner Mütze und sonst nicht so sonderlich viel. Abends gehe ich nochmal Jiaozi essen. Einfach lecker, das Zeug. Die ständige Verfügbarkeit werde ich vermissen.

25Dezember
2019

Weihnachtsschnee

Es gibt doch noch ein Weihnachtsgeschenk. Es hat nämlich geschneit. Gut fünf bis acht Zentimeter. Heute Morgen bin ich auch gar nicht vom Schneeschippen aufgewacht. Es gibt Baozi und warme Sojamilch zum Frühstück. Daran könnte ich mich durchaus auch gewöhnen. Keine Ahnung, wie man den Plastikstrohhalm durch den Plastikdeckel des Plastikbechers bekommen soll. Ich haue mit dem Bleistift ein Loch rein.

 

Meine Lehrerin empfiehlt heute doch mal Jiaozi mit Kimchi-Füllung (die Autokorrektur schlägt vor dieses Wort in Mumienumhüllung zu ändern) zu probieren. Leider gibt‘s die nur mit Fleisch, denn ich stelle mir das ja schon ganz geil vor. Nach dem Unterricht mache ich mir die Reisnudeln vom Vortag warm. Ich habe eigentlich angenommen, dass sie, weil sie über Nacht in ziemlich viel Soße lagen, zu Matsch mutiert sind, aber stattdessen sind sie hart geworden. Seltsamer Prozess, aber um so besser. Den Nachmittag verbringe ich mir meiner neuen Mütze. Irgendwie ist mir nicht so nach rausgehen.

 

Abends gehe ich nochmal in das Restaurant, in dem es so viel Gemüse gibt. Ich bestelle Schnittknoblauch und Süßkartoffeln. Die Süßkartoffeln sind in feinen Scheiben frittiert und dann allen Ernstes mit Zucker bestreut worden. Ohne Zucker und mit Ketchup würden sie sich auch als Pommes ganz brauchbar machen. Am Tisch gegenüber sitzt eine Gruppe Männer. Sie kommen auf Russland und die Russen zu sprechen. Irgendwie passiert das ständig, wenn ich irgendwo auftauche.

 

Danach ärgere ich mich noch ordentlich mit meiner Mütze bzw. dem Fehler, den ich gemacht habe, herum, bis ich wieder Bauchschmerzen bekomme. Ich muss wohl einsehen, dass es nicht auszuschließen ist, dass es da einen Zusammenhang zwischen dem Essen in dem Restaurant und den Bauchschmerzen gibt. Denn das ist jetzt schon das zweite Mal der Fall. Was ärgerlich ist, denn die haben eine gute Gemüseauswahl. Naja, gut, die hat die Markthalle auch.

24Dezember
2019

Ein ganz normaler Dienstag

Das ist nun das zweite Weihnachten, das ich in China verbringe. Beim letzten saß ich im T-Shirt auf dem Balkon, hatte um die zwanzig Grad Außentemperatur, hundertachtzig Grad Meerblick und am vierundzwanzigsten auch Unterricht. Übrigens mit der gleichen Erwartung wie hier auch: da kommt eh keine*r. Hat sich beide Male als unzutreffend erwiesen. Dieses mal habe ich einen hundertachtzig-Grad-Blick auf den Innenhof und auch T-Shirt-Temperaturen. Zumindest innen drin. Und draußen immerhin keine zwanzig Grad unter Null. Und wir waren zu dritt im Unterricht. Also eigentlich fast wie immer. Den Meerblick und den Sand in den Schuhen vermisse ich aber doch ein bisschen, wenn ich so darüber nachdenke.

 

Mittags gehe ich einen Teller Reisnudeln im uigurischen Nudelladen Nummer zwei essen. Als ich so ein Foto von meinem Essen mache, lacht der auf seine Bestellung wartende Essensauslieferer und meint, das würden die Ausländer alle machen. Die Speisen gibt es in diesem Laden in klitzekleinesbisschen scharf, bisschen scharf, mittelscharf und bombenscharf. Ich nehme mittelscharf und muss sagen: ja, das war es tatsächlich. Ich glaube, da war auch ordentlich Pfeffer drin.

 

Im Konversationskurs sind wir heute wieder mächtig vom Lektionsthema abgekommen und hatten es dann irgendwann von Speisen, die man zu bestimmten Festtagen isst. Eigentlich ist das ja auch die weitaus sinnvollere Lernweise einfach über das zu reden, was gerade von Belang und Interesse ist, als zwangsweise davon, was in irgendeinem Buch steht. Zum Frühlingsfest gibt es Jiaozi, zum Drachenbootfest Zongzi, zum Mondfest dann Tangyuan. Ich esse spät abends einen Teller Jiaozi, chinesische Maultäschen. Die gibt‘s glücklicherweise das ganze Jahr.

23Dezember
2019

Ein Drittel

Auch heute Morgen scheint der Mond mit abnehmender Sichel. Ich mache Kaffee und Sport. Manchmal frage ich mich ja, ob Rücksichtslosigkeit, oder das, was ich als solche empfinde, ansteckend ist. Türen knallen, Dauerhupen, in den Aufzug einsteigen bevor die anderen ausgestiegen sind, den eigenen Dreck liegen lassen oder auch gleich in den Hausflur werfen, und so weiter. Wird man irgendwann nachlässiger, wenn oder weil es eh alle machen?

 

Meine Nase läuft und der Hals kratzt. War ein bisschen kalt am Wochenende. Ich kaufe mir noch Baozi und gehe zum Sprachkurs. Jetzt bin ich drei Wochen hier. Ungefähr ein Drittel meiner Zeit ist um. Ob erst oder schon mag ich nicht so recht beurteilen. Im Sprachkurs meint mein nicht duschender Mitschüler, Berufstätigkeit sei das Heil der Frau. Ich meine, Duschgel wäre das des Kurses.

 

Nachmittags koche ich Kartoffelsuppe. Ehrlich, eine einzige Katastrophe. Die werde ich nicht essen. Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert.

22Dezember
2019

Advent, Advent, kein Lichtlein brennt

Ich habe miserabel geschlafen. Oder die Nacht zugebracht. Das trifft es wahrscheinlich besser. Mein Magen mag das ölige Essen nicht, mein Rücken steht auf Kriegsfuß mit dem Bett (was ein Euphemismus für Holzbrett mit Auflage ist), mein Hals ist trocken dank Heizungsluft und mein Hirn verarbeitet gestern. Doch der Morgen beginnt mit einem Blick auf die abnehmende Mondsichel, die hell über dem Innenhof steht. Immer schön optimistisch bleiben.

 

Viel passiert nicht an diesem Sonntag. Draußen hupen Menschen, wenn sie das Parkplatztor geöffnet haben wollen. Die Wertstoffsammler trommeln laut, wenn sie mit ihren Dreirädern vorfahren. Meine Nachbarn hacken ihr Essen klein und das Kind plärrt. Der Fernseher ist nicht zu hören. Meine Mitbewohnerin chattet. Das hört sich für mich immer so an, als würde sie heulen. Und das ist durch zwei geschlossene Zimmertüren echt lauter, als wenn sie im Unterricht, einen Meter von mir entfernt, etwas vorlesen muss.

 

Es ist schon längst wieder dunkel, als ich mich aufmache, einen Teller Nudeln essen zu gehen. In der Nudelbude sitzt noch eine andere Frau vor Suppe und Smartphone. Sie fragt, wann die Nudelbude zumache. Und bleibt sitzen, als sie ihre Suppe längst aufgegessen hat. Was sie wohl nicht nach Hause zieht? Oder hat sie noch etwas vor?

 

Die Chefin regelt noch ein paar Bestellungen, dann werden die Mülltonnen entleert, die Leuchtreklame ausgeschaltet und sie putzt zusammen mit dem Koch den Laden raus. Ich zahle und packe meine Reste ein. Ich solle doch sitzen bleiben, sie seien ja noch da. Und letztes Mal sei ich ja auch erst um die Uhrzeit gekommen.

21Dezember
2019

Pingfang

Es ist wieder früh. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Ich koche mit Kaffee, mache ein bisschen Sport, dann die Fladenbrote vom Uiguren um die Ecke zu Frühstück in der Pfanne warm (keine neuen Episoden im Kochplattenkrimi, tut mir leid) und lasse den Tag langsam anlaufen.

 

So gegen halb neun verlasse ich das Haus, kaufe mir noch schnell zwei Baozi zum Mitnehmen und gehe zu Bushaltestelle. Dort will ich Bus 338 in Richtung Süden nehmen. Es kommen Busse vieler Linien, nur die von mir gewünschte kommt nicht. Oder anders gesagt, nur auf der anderen Straßenseite. Ich beschließe irgendwann, als mit die Füße so langsam kalt werden, eine Haltestelle weiter zu gehen, um dort mein Glück zu versuchen.

 

Kaum drei Straßenecken weiter, biegt dort auch schon ein 338er um die Ecke. Alles klar, schlampig auf die Internetkarte kucken wird bestraft. Ich steige also an der nächsten Haltestelle in den nächsten Bus ein. Der Bus wird nicht so richtig gut geheizt und ich sitze auch noch an der Tür. Das ist nicht gerade der Brüller.

 

Unablässig plärrt die Durchsage: Bis zur Station X vorne einsteigen und hinten aussteigen, ab Station X hinten einsteigen und vorne aussteigen. Das mutet etwas seltsam an, wenn man sich nichts darunter vorstellen kann, letztlich ist es die einfachste Variante ein zweistufiges Bezahlsystem im Bus zu etablieren. Steigt man vorne ein, zahlt man beim Einstieg einen Yuan. Steigt man dann hinten wieder aus, bleibt es dabei. Nach Station X muss man vorne raus und noch einmal zahlen. Und die, die später hinten einsteigen, zahlen nur beim Aussteigen.

 

Ich fahre ungefähr eine Stunde mit diesem Bus in den Süden. Nach gut der Hälfte der Zeit sind wir schon in einem deutlich ländlicherem Umfeld. So viel sieht man von der Straße aus allerdings auch wieder nicht, doch dass irgendwann keine Hochhäuser mehr den Straßenrand säumen, ist klar erkennbar. Eine Frau verpasst den Ausstieg und muss dann eine Haltestelle nach Station X auch zahlen. Nachsicht für das Versehen gibt‘s nicht.

 

An der Xinjianglu steige ich aus. Und gehe prompt in die falsche Richtung, weil mich das kurz zuvor gesehene Parkplatzschild irreführt. Ich habe nämlich vom Bus aus den Pfeil nicht sehen können. Also wieder zurück. Ein paar Meter weiter ist dann auch der Parkplatz und hinter dem Parkplatz das Museum, in das ich will. Es ist jetzt kurz nach zehn Uhr, der Parkplatz ziemlich leer.

 

Die nächsten fünf Stunden verbringe ich auf dem Gelände des Museum of War Crime Evidence by the Japanese Army Unit 731.

 

Kurz nach fünfzehn Uhr sitze ich wieder im Bus. Diesmal setze ich mich nach hinten, in der Hoffnung, dort ein wenig wärmer unterwegs zu sein. Wir holpern zurück. Es wird wieder städtischer. Die Häuser werden wieder höher, der Verkehr nimmt zu. Wir fahren unter Autobahnringen durch. An Einkaufszentren vorbei. Heute Morgen, auf dem Weg aus der Stadt heraus, ist mir die Stadt gar nicht so sehr aufgefallen. Erst das Ländliche. Jetzt ist es umgekehrt.

 

Ich kaufe noch schnell ein, und als ich den Supermarkt verlasse, ist es bereits wieder dunkel. Später gehe ich essen. Es gibt zwei Pfännchen, eins mit Eierfruchtstreifen, eins mit Spinat. Während mein Essen kommt, füllen sich die beiden Nachbartische mit Gästen. Und sind leer, bevor meine Pfännchen leer sind. Ich finde es faszinierend, wie schnell die essen. Können, wollen oder müssen?

 

 

 

 

20Dezember
2019

Rundgang durch die Innenstadt - Sophienkathedrale, Songhua, Zhongyanglu

Morgens treffe ich eine Kurskollegin beim Baozikauf. Sie ist für einen Monat in Harbin, weil sie in China an einem chinesischsprachigen Masterprogramm teilnehmen will und dafür ihr Chinesisch noch etwas aufpolieren will. Im Erdgeschoss der Sprachschule trennen sich unsere Wege kurz. Sie nimmt den Aufzug, ich die Treppe. Nach knapp drei Wochen habe ich mich an sechs Stockwerke am Morgen gewöhnt. Neulich bin ich zu Hause auch zu weit nach oben gestiegen, ohne es zu merken. Wir besprechen die Hausaufgaben und beginnen die nächste Lektion. Ich denke, oh je, jetzt ist ja länger Pause, und habe dabei ganz vergessen, dass nur in Deutschland heute die Weihnachtsferien beginnen.

 

Im zweiten Kurs diskutiert die eine Kurskollegin wieder ganz begeistert Hochzeiten. Das macht sie irgendwie jedes Mal, wenn sie mal da ist und sie schafft es auch von jedem Thema dorthin zu kommen. Wie gut, dass „zurück zum Thema“ heute im Text drankommt. Den anderen Kurskollegen interessiert das so gar nicht, und er demonstriert das auch immer ziemlich deutlich. Allerdings sehe gute Chancen, dass er sich in der nächsten Zeit persönlich nicht damit beschäftigen muss. Außer vielleicht, er erhöht zeitnah seine Duschfrequenz deutlich.

 

Nachmittags nehme ich den Bus zur Innenstadt. Es ist kalt, aber die Sonne scheint und so viele helle Stunden hat der Tag hier im Winter nicht. Ich will zur Sophienkathedrale. Da komme ich recht bequem mit dem Bus hin, nur wird die wohl gerade renoviert, weshalb ich nicht hinein komme. Ich bleibe auf dem Platz davor, beobachte die Selfieknipser und die Eisweghacker und gehe dann fröstelnd weiter.

 

 

Nach ein paar Minuten bin ich in einem Straßenzug angelangt, in dem es Musikinstrumente zu kaufen gibt. Ein Geschäft reiht sich an das nächste. Ich sehe Celli und Banjos, Ukulelen und Klavierwerbung. Die Häufung von Geschäften eines Typs ist total typisch und letztlich auch irgendwie praktisch.

 

Noch ein paar Minuten später bin ich am Ufer des Songhua. Er ist zugefroren und schneebedeckt, die Boote, die ihn sommers queren, sind festgefroren. Ein paar chinesische Reisegruppen folgen ihren Reiseleiterinnen, die große Fahnen vor sich hertragen und per Minimegaphon die Szenerie vorstellen. Ich bin jetzt gut eine Stunde unterwegs. Mir ist so richtig kalt.

 

 

Ich verlasse die Promenade am Fluss (die heißt auch Stalin Park!) vorbei an der Stele, die auf die erfolgreiche Bezwingung der Naturgewalt Wasser erinnert, die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts viele Todesopfer forderte, und verziehe mich in ein Kaufhaus. Da wird geheizt. Und dort gibt es reihenweise Automaten, an denen man versuchen kann mit einem Greifarm scheußliche Kuscheltiere zu ergattern. Und es gibt Läden voller Mützen. In allen Farben und mit viel Fell. Als mir wieder warm ist, gehe ich weiter. Vor dem Ausgang stehen Stände, die Grillspieße, Obstspieße oder Stinketofu verkaufen. Den Stinketofu riecht man meilenweit gegen den Wind.

 

 

 

Ich gehe die Einkaufsstraße, angeblich Chinas längste Fußgängerzone, die Zhongyanglu, entlang. Die Häuser sind niedrig, manche noch aus den 1920er Jahren. In vielen befinden sie Bekleidungsgeschäfte, sogar H&M hat sich hier niedergelassen. In der ein oder anderen Querstraße stehen kleine Buden. Was hätte ein netter Weihnachtsmarkt werden können, ist leider wieder nur eine Anlaufstelle für Spieße und Stinketofu. Und schwarzen Tofu. Keine Ahnung, was das ist, aber ich bin heute nicht in Probierlaune.

 

 

 

Abgesehen von Bekleidungsgeschäften gibt es hier auch einige russische Läden und Restaurants, die auch auf Russisch beschildert sind. Harbin hat ungefähr eintausend russische Einwohner. Und garantiert deutlich mehr russischen Tourismus. Wobei es Chines*innen sein dürften, die hier die russischen Waren kaufen. Man kann auch alle paar Meter Matrjoschka (Puppen in der Puppe) kaufen. Ich dachte ja, die seien seit 20 Jahren out. Und einen russischen Supermarkt scheint es auch zu geben.

 

 

Als mir wieder kalt ist, gehe ich noch einmal in ein Kaufhaus. Das hat praktischerweise einen Supermarkt im Untergeschoss, in dem ich noch schnell den Einkauf erledigen kann. Und hier gibt es Flensburger Bier. Ich habe irgendwelchen eingelegten Tofu gekauft. Sieht aus wie Hühnerfleisch. Schmeckt ungebraten allerdings seltsam. Voll nach Schnaps.

 

Als ich das Kaufhaus verlasse, ist es gegen sechzehn Uhr und dunkel. Die Einkaufsstraße erscheint im Schein der Lichterketten, die sie schmücken. Sieht nicht schlecht aus. Wärmt aber nicht. Ich nehme den Bus nach Hause. Den, der zwei Yuan kostet. Nicht nur einen. Dafür bekomme ich da auch einen Sitzplatz. Wir zuckeln ein paar Kilometer durch den Feierabendverkehr. Der Busfahrer flucht.

19Dezember
2019

Bratkartoffeln

Der Tag verläuft unspektakulär, kalt und rutschig. Mit Baozi zum Frühstück, Unterricht zu zweit und Resten zum Mittagessen. Ohne Schneefall, ohne Auffälligkeiten. Abends gehe ich dann etwas essen. Ich bestelle Kartoffelscheiben. Sie kommen in einer gut fünfundzwanzig Zentimeter Durchmesser habenden Metallschale, die auf einem Gestell platziert und mittels einer Brennpaste heiß gehalten wird. Ganz im Ernst: das Gericht geht als Bratkartoffeln durch.

18Dezember
2019

Rutschpartie

Kein Neuschnee bedeutet heute auch keine Innenhofschneeschippweckfunktion. Ich bleibe ein bisschen länger liegen und besorge mir dann im Kellerimbiss im Nachbarhaus Baozi, mit Schnittknoblauch bzw. Kohl gefüllte und gedämpfte Teigtaschen. Ich muss kurz warten, denn der eine Dämpfkorb ist noch draußen auf der Straße im Dampf. Der Gehweg ist ohnehin eine einzige Straßenküche, auch bei Minusgraden. Mit vier Baozi im Tütchen ziehe ich ab. Heute ist es noch rutschiger als gestern. Die Kombination aus sauglatt und saumäßigem Fahrstil gefällt mir irgendwie überhaupt nicht.

 

Ich habe gestern eine neue Mütze angeschlagen und ein kleines Problem: ich habe zu wenige Nadeln. Also, denke ich mir, fahre ich halt schnell zum Wollmarkt und kaufe noch welche. Der Bus kommt auch fast zeitgleich mit mir an der Haltestelle an. Perfekt. Leider habe ich die Rechnung ohne den Busfahrer gemacht, denn der lässt uns alle irgendwo aussteigen. Keine Ahnung warum. Zum Glück bin ich die Strecke schon einmal gefahren und weiß wenigstens halbwegs, wo ich hin muss.

 

An der geriatrischen Klinik läuft eine Leuchtreklame. Darmspiegelungen sind für 288 Yuan zu haben. Magenspiegelungen gibt es hier schon für 188. Zum Glück gibt es nicht auch noch einen Werbefilm dazu. Ich frage mich ja, ob diese Art von Werbung tatsächlich irgendjemanden anlockt. Ich rutsche weiter.

 

Nach einer weiteren Viertelstunde Schlitterpartie bin ich dann endlich am Wollmarkt. Innen drin wird gerade der Eingangsbereich gewischt, so kann ich hier gleich weiter über den nassen Steinboden rutschen. Der Verkäufer sucht mir die passenden Nadeln heraus. Er meint, ich könne doch einen Chinesen heiraten. Auf mein Kopfschütteln hin setzt er nach: es gäbe auch gute. Alles klar und danke für diese Information!

 

 

Gut zwei Stunden nach dem Verlassen des Hauses bin ich nun endlich wieder zurück.

17Dezember
2019

Nicht alles Wurst

Der Mann, der im Innenhof vor meinem Fenster über Eisentor und Parkplatz wacht, beginnt scheinbar um fünf Uhr dreißig seine Schicht. Oder er ist begeisterter Frühaufsteher. Zumindest ist es noch stockdunkel, als er den in der Nacht frisch gefallenen Schnee wegschippt. Was in einem Innenhof, der von sechs- bis achtstöckigen Häusern umgeben ist, wunderbar hallt und jeden Wecker erfolgreich ersetzt.

 

Heute Morgen eile ich zwischen meinen beiden Kursen tatsächlich schnell in die Markthalle, um mir was zu essen zu besorgen. Ich habe so Hunger. Ich kaufe zwei mit Schnittknoblauch gefüllte handtellergroße Backwaren, die gefüllten Pfannkuchen ein wenig ähneln und in Öl ausgebacken wurden. Mit Fett sollte man hier besser nicht auf Kriegsfuß stehen.

 

Im Unterricht sprechen wir über Wurst. Wurst, muss man dafür wissen, heißt genauso wie Darm. Was dann bei mir die Frage aufwirft, aus was hier eigentlich die Wurstpelle hergestellt wird? Die Lehrerin meint, eher nicht aus Darm. Wirklich wissen tut sie es aber auch nicht. In der Markthalle werden ja stapelweise Würste angeboten. Ein Relikt aus der Zeit, in der Harbin unter russischem Einfluss stand. Manche davon mit einem Durchmesser von über zehn Zentimetern, andere erinnern eher an Bockwürste.

 

 

Auch auf der Straße gibt es gegrillte und mehrfach eingeschnittene Bockwürste. Da fehlt nur noch die Currysoße und dann geht Harbin als Berlin 2.0 durch. Zumindest was die Dichte der Würstchenbuden angeht. Es gibt auch Würste, die an Wollwürste erinnern. Und diese eingeschweißten gibt‘s natürlich auch noch. Schauder.

 

 

Da joggen nach dem Mittagessen nicht richtig funktioniert, probiere ich es heute mal vorher. Funktioniert leider auch nicht wirklich, was allerdings nicht am leeren Magen, sondern an den glatten Straßen liegt. Die Eiswegfegerei löst nämlich das Problem überfrierender Nässe sowas von überhaupt nicht. Egal wie viel da gefegt wird. Ich schleiche also eher vorsichtig über das Gelände, was ganz schon anstrengend ist.

 

Entlang der Fußgängerzone werden die gestern bereits beleuchteten Eisklötze heute bearbeitet. Ich weiß nicht, wie die Einteilung der Eisbearbeitungsteams verlief, vielleicht nach Fakultäten oder so? Sieht auf jeden Fall so aus, als während das alles Student*innen, die da mit Gabeln und anderen Gerätschaften Eis abschaben. Und sie tragen zu großen Teilen unglaublich orange Mäntel. Und mindestens eine trägt Knöchelsocken zu hochgekrempelten Jeans. Nur Eisblock Nummer 13 steht noch ganz unbearbeitet da.

 

Ein paar hundert Meter weiter reparieren ein paar Arbeiter auf der Straße einen LKW, der eigentlich den Schnee mittels großer Walze wegkehrt. Sie haben irgendwas ausgebaut, was gut einen Meter hoch ist. Die restlichen Einzelteile liegen in einem Umkreis von ca. drei Metern auf der Straße verteilt. Mir ist kalt, ich jogge heim. Vor dem Campus verkauft ein Mann Spruchbänder für Neujahr. Und zwanzig Zentimeter hohe Plastikweihnachtsbäume. Mit Glimmer.

 

Abends gehe ich einen Teller Gemüse mit Reis essen und anschließend die Straße entlang. Im Fenster eines weiteren uigurischen Restaurants sehe ich Tüten mit kleinen, flachen Fladenbroten. Ich betrete das Restaurant, erkundige mich nach dem Preis und beschließe zwei zu kaufen. Das seien übrigens keine Brote, sagt man mir, sondern Naan. Xinjiang-Naan.

 

Auf dem letzten Stück meines Heimweg kann ich noch beobachten, wie die Schneeberge vom Straßenrand oder Gehweg auf Lastwagen geschaufelt werden. So werden sie also wegtransportiert. Eine der abenteuerlichen Stromleitungen, die von der einen Häuserzeile über die Straße hinweg zur gegenüberliegenden Häuserzeile gespannt wurde, ist nach unten herabgefallen und baumelt jetzt auf nicht einmal zwei Meter Höhe über der Fahrbahn. Mit zwei daran geknüpften Plastiktüten kann man sie jetzt viel besser erkennen und so sicherlich erfolgreich Unfälle vermeiden. Immer schön auf Sicherheit achten!

16Dezember
2019

Es hat geschneit!

Heute stehe ich erst um sechs Uhr auf. Was daran liegen dürfte, dass ich auch erst recht spät im Bett war. Ich trinke einen Kaffee, eine warme Sojamilch und einen Smoothie aus immer noch viel zu unreifer Banane und der Kiwipampe, dann geht‘s los zum Unterricht. Wir beginnen zu zweit und sind nach einer halben Stunde dann zu fünft. Die Lektionsthemen handeln von zwischenmenschlichen Beziehungen und Prioritäten im Leben. Ich werde so langsam spießig und würde gern „Pünktlichkeit“ mit auf die Liste setzen.

 

Und wir diskutieren über den (fiktiven) Typ, dessen Studentenleben aus Wohnheim (in China teilt man sich allerdings das Zimmer), Mensa, und Hörsaal besteht, und dessen Sozialleben sozusagen inexistent ist. Nicht mal in die Bibliothek geht der Typ! Im Arbeitsleben muss er das dann ändern und mit anderen kommunizieren. Hach, welch positives Beispiel! Für Chef und BIP ein Wandel der Lebensgewohnheiten und Charakterzüge. Dafür gibt es sogar eine Beförderung. Immerhin erspart mir das Buch weitere Lobhudeleien über sein Verhalten.

 

Ich gehe kurz in der Markthalle vorbei. Am Tofustand gib‘s auch süß eingelegte Gurken. Ich freue mich und kaufe etwas davon. Leider ist da irgendwas Ekliges dran, schmeckt nach Süßsstofftabletten. Zum Mittagessen mache ich mir die restlichen Nudeln mit Gemüse warm. Und entsorge den Kiwipampenrest. Danach schlafe ich erst einmal ein. Und während ich den halben Nachmittag verschlafe, mit Hausaufgaben und ein bisschen Sport (ich habe immerhin knapp 2,5m x 3m freigeräumt bekommen) verbringe, fällt draußen, von mir fast unbemerkt, wieder Schnee.

 

Abends mache ich einen Spaziergang über das Unigelände. Es ist merklich ruhiger, gedämpfter, langsamer. Ich will mir die Eisskulpturen ansehen und ein paar Fotos schießen. Entlang der Fußgängerzone sind Eisblöcke aufgestellt und bunt beleuchtet. Am Rand gibt es Rutschen aus Eis. Ein paar Kinder spielen dort. Andere werden von ihren Eltern in kleinen Bobs über die Straßen gezogen. Am Kreisverkehr ist eine Miniatur der Chinesischen Mauer entstanden. Davor tanzt heute Abend eine Frau zu Musik, die an Panflötenspieler aus der Fußgängerzone erinnert. Nur etwas chinesischer.

 

Auf dem dritten Bild wünscht sich China, auf dem Hochhaus im Hintergrund umlaufend, alles Gute zum 70. Geburtstag.

 

Vor dem Campusgelände stehen kleine Verkaufswagen, die Essen anbieten. Ein Mininachtmarkt. An einem gibt es so eine Art gefüllte Fladenbrote. Chinesischer Döner. Ich bestelle eines mit Gemüse und Tofuhaut. Und bitte ohne Ei! Vermutlich deshalb hackt die gute Frau dann, schneller als ich ich irgendwas sagen kann, noch ein Würstchen mit dazu. Auf meine Beschwerde hin puhlt sie das Würstchengehäcksel wieder aus der Tofuhaut, mischt das Ganze mit etwas Bratensaft aus dem Fleischtopf, lässt das Gemüse weg und gibt mir das. Ok, auch ausbaufähig. Da muss ich wohl deutlich deutlicher sein. Das Brot ist aber gut. Ich kaufe ihr einfach welches ohne Füllung ab, beschließe ich für‘s nächste Mal.

 

 

 

Inzwischen liegen gut zehn Zentimeter Schnee. So müssen die Fußgänger nun nicht nur mit den Autos, sondern auch mit den Schneehaufen die Gehwege teilen. Zeit, nach Hause zurückzukehren.

 

15Dezember
2019

Und ein mindestens ebenso ruhiger Sonntag hinterher

Wenn man sonntags um fünf aufsteht, ist Deutschland samstags noch wach! Ungetoastetes Toastbrot mit Erdnussbutter und Tomaten dient mir als Frühstück. Danach packe ich meine Lernmaterialien aus und mache mich an die Vorbereitung des morgigen Unterrichts, putze das Bad und wische meinen Boden. Es staubt hier echt unglaublich.

 

Vor dem Mittagessen gehe ich nach nebenan in die Markthalle, um Gemüse zu kaufen. Erst bleibe ich kurz am Tofustand stehen, um dort rot eingelegte Bollen zu kaufen. Es gibt hier neben Sojamilch und Salaten auch Fleischimitate aus Soja. Oft gibt‘s diese auch in vegetarischen Restaurants, die sich immer wieder in der Nähe buddhistischer Tempel befinden. Und die, wenn es sich nicht gerade um Hallen handelt, die busweise Touristen abfertigen können, auch echt gutes Essen auf den Tisch bringen. Die roten Bollen sind, wie ich später feststellen werde, süß eingelegt worden. Soll wohl an süß-saures Schweinefleisch (mit Ananas - das Vorbild für Ente süßsauer oder so) erinnern. Schmeckt auf jeden Fall ganz gut das Zeug.

 

Im Supermarkt kaufe ich eine Packung japanischer Cracker mit Wasabigeschmack. Als ich an der Kasse bezahle, weist mich die Verkäuferin darauf hin, dass ich meinen Geldbeutel gut einstecken soll. Wie ich sie liebe, diese öffentlichen Erziehungsmaßnahmen, bei denen erwachsene Menschen behandelt werden wie unmündige Kindergartenkinder. Am besten immer unter der Prämisse von „Sicherheit“. Ich verdrehe mindestens innerlich die Augen und nehme ein paar Meter weiter noch Pak Choi, Shiitake und etwas vom Tofustreifensalat mit und gehe wieder heim.

 

Nach dem Mittagessen will ich eigentlich irgendwie produktiv sein, aber die Müdigkeit überwältigt mich und ich schlafe ein. Naja, gut, ich bin eben immer wieder ordentlich im Schlafdefizit. Am späteren Nachmittag kommt dann doch noch etwas zustande.

 

Als ich mich dann endlich entschließe einen Teller Nudeln essen zu gehen, kommt meine Mitbewohnerin zurück und blockiert ewig das Bad. Noch blöder: ich stelle später fest, dass es im Nudelladen auch ein Klo gegeben hätte. Gut, das weiß ich jetzt für das nächste Mal. Dann muss ich nicht mehr warten, bis ich zum heimischen Klo schwimmen kann.

 

Ich bestelle einen Teller Nudeln und ein Bier. Das Bier trägt den Namen „Schneeflocke“ und hat eine ideale Trinktemperatur zwischen fünf und fünfundzwanzig Grad. Über null. Meins dürfte am oberen Ende des Intervalls liegen. Der Kerl am Nachbartisch diskutiert mit der Kellnerin die heutige Ausbildungssituation und seine früheren Reisen. Die Nudeln sind gut, aber zu viel. Frühstück gesichert. Zum Glück habe ich kein neues Toastbrot gekauft.

 

14Dezember
2019

Ein ruhiger Samstag

Samstagmorgen, sechs Uhr. Zeit aufzustehen. Die Tür fällt knallend ins Schloss. Meine Mitbewohnerin kommt gerade nach Hause. Man kann die Tür übrigens auch durchaus leise schließen. Die anderen Türen auch. Aber sie ist eben nicht man.

 

Ich stelle fest, dass ich wieder Muskelkater habe. Beidseitig direkt unter dem Rippenbogen. Immer wieder spannend festzustellen, wo der sich überall festsetzen kann. Der ist auch ganz schön unangenehm. Der Samstag wird relativ ruhig und gammelig werden. Ich bin noch recht platt von der Woche.

 

Zum Frühstück gibt‘s eine Schüssel voller Reste aus dem Kühlschrank: Reis, Tofuhaut, Tomaten, Koriander. Später gehe ich einkaufen. Ich brauche ganz dringend ein Maßband und eine größere Häkelnadel. Beides gibt‘s glücklicherweise gleich im Markt nebenan.

 

Am Vormittag mache ich meine Mütze fertig und probiere später etwas Neues aus. Das will so überhaupt nicht so klappen, wie ich das will, und frustriert mich ungemein. Irgendwann lege ich das Wollchaos weg und beschließe, es heute nicht mehr in die Hand zu nehmen.

 

Und ich brauche ein Mittagessen. Da ich wieder viel zu spät losgehe, und meine Laune und meine Entscheidungsfreude indirekt proportional zu meinem Hunger gesunken sind, brauche ich ewig ein Restaurant zu finden, mit dem ich mich zufrieden gebe. Letztlich gibt es Eierfrucht mit Reis und Gurkensalat, der angeblich scharf sein soll. Ist er nicht. Die Soße ist nur rot.

 

Als ich nach Hause zurückkomme, steht Rauch in der Bude. Meine Mitbewohnerin hat versucht zu kochen. Dabei hat sie aber eher die Pfanne abgefackelt, als irgendwas Essbares zustande gebracht. Das wird noch den ganzen Nachmittag, trotz geöffneter Balkontür, vor sich hin stinken. Ich glaube, sie ist dann auch essen gegangen.

 

Mit den letzten Sonnenstrahlen laufe ich gegen fünfzehn Uhr mit neuer Mütze zum Campus hinüber. Auf dem Basketballplatz spielen zwei Studenten einsam Basketball. Heute läuft das nicht so wirklich. Die Mütze ist für die hiesigen Temperaturen zu dünn und mit Kapuze auf dem Kopf läuft es sich nicht gut. Was mich dann weiter nervt. Ich quäle mich eine halbe Stunde und sehne die warme Dusche herbei. Die Arbeit an den Eisblöcken geht übrigens voran. Und in den Bäumen längs der Fußgängerzone werden Lichterketten angebracht.

 

Da die Küche immer noch stinkt und meine Motivation heute Morgen nicht aufgestanden ist, gehe ich abends noch einmal essen. Am Nachbartisch tanzen die kleinen Mädchen auf der Bank. Es gibt einen riesen Teller mit Eierfrucht, Paprika und Kartoffeln und eine Schale Reis. Damit ist auch wieder genug für morgen da.

 

13Dezember
2019

Freitag, der Dreizehnte

Fünf Uhr fünfundvierzig. Wahnsinn. Ich sollte aufpassen nicht zum Faultier zu mutieren. Das wird heute Morgen richtig knapp. Zum Glück halten sich die Hausaufgaben in Grenzen und es sind auch immer noch Nudeln von gestern Mittag da. Auf dem Weg nach unten treffe ich einen meiner Nachbarn. Er raucht erst mal eine im Treppenhaus und rotzt dann noch eine Runde herum. Im Erdgeschoss steht die Frau in Neonkleidung. Sie meint, ihr sei nicht kalt. Heute geht es auch.

 

Wir sitzen heute nur zu dritt im Unterricht. Und ich komme als letzte. Meine Lehrerin findet es absolut köstlich, dass ich einen ausgemachten Blödsinn vorlese, und lässt mich zu ihrer Erheiterung mehr vorlesen als die anderen. Ich trage das mit Fassung. Während der ersten Stunde beginnt es zu schneien. Endlich, will ich fast schon sagen. Schon für Montag war Schneefall angesagt, es kam aber nichts. In der ersten Pause ist die Straße schon ein ganz kleines bisschen weiß. Nach der vierten Stunde dürften es fünf bis sechs Zentimeter geworden sein. Ich bringe meine Bücher nach Hause.

 

Zum Mittagessen gehe ich heute im Nebenhaus in den Keller. Dort bestelle ich mir einen heißen Pott mit Eierfrucht und Kartoffeln und nehme noch ein Tellerchen kalte Vorspeisen dazu. Die darf man sich hier selbst zusammenstellen. Das Grünzeug, das ich fälschlicherweise für Spinat gehalten habe, schmeckt so wie nasses Gras riecht. Die süß eingelegten Gurken hingegen sind richtig gut. Davon habe ich aber nur eine Scheibe genommen. Mist. Und die Baozi, gefüllte und gedämpfte Teigtaschen aus Hefeteig, habe ich gar nicht probiert. Da muss ich wohl noch einmal wiederkommen. (Baozi Wang liegt übrigens am anderen Ende der Stadt!)

 

Nach einer kurzen Mittagspause schnüre ich die Laufschuhe. Vom Muskelkater bin ich verschont geblieben, es hat sechs Grad unter Null und die Schuhe haben ein ganz brauchbares Profil. Sollte gehen. Ich jogge gemütlich zum Campus hinüber und dort dann los. Zuerst geht es einem Schneepflug hinterher. Der stinkt nicht nur zum Himmel sondern auch auf den Fußweg. Die Art und Weise der Schneebeseitigung ist schon spannend. Wunderwaffe Nummer eins: der Besen. Damit lässt sich der frische Schnee ganz gut wegkehren. Wurde er schon festgetrampelt kommt Wunderwaffe zwei ins Spiel: die Schneeschippe. Damit kann man den Schnee vom Boden kratzen, um ihn dann wegzukehren. Die Belegschaft muss mit ran, auch der Koch mit Kochmütze.

 

Es läuft sich richtig gut. Der Schnee knirscht und quietscht unter den Schuhen, wo er noch nicht den Besen zum Opfer gefallen ist. Nach einer Weile komme ich wieder an den Eisblöcken vorbei. Inzwischen sind es deutlich mehr geworden. Die dick eingepackten Arbeiter sägen sie schön eckig. Sie liegen nicht mehr nur rund um den Kreisverkehr, sondern auch längs der Fußgängerzone, wenn man die so nennen will. In den Blöcken stecken Kabel. Ach, sie sollen wohl nachts beleuchtet werden. Oder was heißt nachts? Ab sechzehn Uhr ist es stockdunkel.

 

Noch viel lustiger als die Eisblöcke finde ich allerdings die aufgetürmten Kartons im Innenhof des bestimmt fünfundzwanzigstöckigen Wohnheimes. Was auch immer da drin ist, ich tippe ja auf Fliegengitter, braucht man momentan wohl nicht so dringend.

 

Der restliche Nachmittag geht dann an die warme Dusche, Hausaufgaben und die Mütze, die ich im Flugzeug begonnen habe. Jetzt fehlt nur noch der Abschluss. Bevor ich zum Abendessen aufbreche, stelle ich durch Zufall noch fest, dass meine Deckenlampe eine besondere Funktion besitzt. Macht man sie schnell hintereinander an-aus-an, ändert sich die Farbe des Lichts. Es gibt neonröhrenweiß, widerlichesneonröhrenblauweiß und halbwegswarmesneonröhrenblassgelbweiß. Leider kann meine Schreibtischlampe das nicht.

 

Ich gehe wieder in den Laden mit den Grillspießen, in dem ich letzten Freitag schon war. Heute ist er wieder voller Männer, die kein Bier vertragen, aber trotzdem viel zu viel davon bestellen und trinken. In der nächsten Stunde wird der Geräuschpegel noch merklich steigen. Der Mann, der meine Bestellung aufnimmt, stellt treffend fest, dass ich kein Fleisch mag. Von der netten Frau bekomme ich eine große Portion vom Tigersalat. Die gegrillten Pilze bleiben mir förmlich im Halse stecken. Bei hundert habe ich aufgehört zu zählen, da waren sie noch immer nicht zu Brei zerkaut. Dafür trinke ich heute ein zweites Bier. Auf alle Freitage, den Dreizehnten, und überhaupt. ;-)

 

12Dezember
2019

Vollmond

Ich stehe wieder gegen fünf Uhr auf. Immerhin nach gut sieben Stunden Schlaf. Der Vollmond hat meinem Nachtschlaf augenscheinlich nicht geschadet. Die gestern Abend gekaufte Drachenfrucht ist innen drin magentafarben. Ich traue meinen Augen kaum, so kräftig ist das. Da ist die Telekom fast bleich dagegen. Lustig finde ich auch immer wieder, dass kleine Kirschtomaten in den Obst- und Gemüseabteilungen meist beim Obst zu finden sind.

 

Im Unterricht schließen wir ausgerechnet heute das Thema Lebenshaltungskosten und Hochzeitsvorbereitungen ab. In der Pause zeige ich meiner Lehrerin den Zettel, auf dem der Name des Wollmarktes steht. Leider kann ich nicht alles entziffern und brauche Hilfe. Weit ist es nicht. Sie ist so nett und sucht mir gleich auch noch eine Busverbindung raus.

 

Nach Unterrichtsschluss gehe ich noch einmal ins uigurische Schnellrestaurant. Heute sprechen sie kein Chinesisch miteinander und ich nehme langgezogene Nudeln (wie Spaghetti, nur viel länger) mit Gemüse und ein Tellerchen voller kalter Kartoffelstreifen, die in ziemlich viel Öl beden. Die Hälfte der Nudeln nehme ich später mit. Während ich so am Tisch sitze und esse, kommt eine Frau in das Restaurant und will etwas Vegetarisches bestellen. Das ist das erste Mal, dass ich das so mitbekomme. Sie nimmt dann eine Suppe, liest einen Text von ihrem Handy ab und legt die Handflächen vor der Brust aufeinander, bevor sie zu essen beginnt. Vielleicht eine Buddhistin?

 

Ich gehe zur Bushaltestelle und warte auf Bus 82. Irgendwann kommt er auch. Vielleicht liegt es vor allem an der Uhrzeit, aber im Bus sind eigentlich nur alte Leute und ein paar Studenten. Die Straßen sind dennoch voller Autos. Die Gehwege übrigens meist auch. Parken in der dritten Reihe steht hier hoch im Kurs.

 

Ich steige aus und suche kurz nach dem Weg. Entlang einer großen Baustelle an einer ziemlich großen Straße gehe ich die Hausnummern entlang. Die Baustelle gehört zu einer neuen U-Bahn-Station, der Ausbau wird kräftig vorangetrieben. Hier ist auch ein Theater. Schließlich finde ich den Eingang zum Wollkaufhaus. Ich glaube, ohne Hausnummer hätte ich ihn übersehen, denn unscheinbar ist noch übertrieben. Davor ist auch alles voller Autos. Erst einmal muss ich den Aufzug in den fünften Stock nehmen, dann stehe ich in einer großen Halle, in der sich lauter kleine Stände befinden. Viele davon verkaufen Strickwaren, manche auch Wolle, einer sogar Knöpfe.

 

In oder vor den meisten kleinen Wollläden sitzen meist mittelalte und alte Frauen, die häkeln oder stricken. Vor allem die filigranen Häkelarbeiten beeindrucken mich, auch wenn ich die meisten ehrlich gesagt ziemlich scheußlich finde. Eine junge Frau lässt sich an einem Stand bei ihrem Patentmusterschal helfen. Ich bleibe stehen und schaue auch zu. Da juckt hier keinen.

 

Die Wolle kauft man hier pfundweise, was aber natürlich nicht bedeutet, dass man auch gleich ein Pfund nehmen muss. An manchen Ständen kann man sich auch etwas von großen Spindeln abwickeln lassen. Es gibt auch Wolle, die wird zu einer Art Fell, wenn man sie verstrickt. Ich weiß aber nicht so wirklich, was ich damit machen soll. Und es gibt spindelweise Glitzergarne. Die Nadelspiele sind 40cm lang und bestehen nur auch vier statt wie gewohnt fünf Nadeln. Letztlich kaufe ich braune, rote und türkise Wolle sowie Nadeln. Dann ziehe ich wieder ab. Zu Fuß zum Bus, unterwegs ein paar Fotos von den ganzen Hochhäusern machen, und dann ab nach Hause.

 

Die Sache mit den guten Vorsätzen für den restlichen Nachmittag hat sich mit dem Wollkauf erledigt. Zum Glück habe ich noch genug Nudeln vom Mittagessen übrig, so dass ich mich um das Essen auch nicht mehr kümmern muss. Und es werden noch welche für morgen früh übrig bleiben.

 

11Dezember
2019

Salat

Die Nacht ist schon wieder vor fünf Uhr morgens für mich zu Ende. So langsam nervt mich das etwas. Sechs Uhr ist okay. Das reicht für Hausaufgaben, Kaffee und Bewegung. Früher muss echt nicht sein. Da fühle ich mich in einer Tour verpflichtet extra leise zu sein. Auf dem Weg zum Sprachkurs treffe ich unten im Haus eine der Frauen, die in neongelber Kleidung auf der Straße irgendwelche Arbeiten verrichten. Was sie draußen macht weiß ich nicht, sie macht zumindest im etwas Wärmeren Pause. Letzte Woche stand sie morgens schon einmal da.

 

Nach Unterrichtsschluss gehe ich wieder direkt zur Markthalle. Ich muss mich unbedingt noch durch das ganze Angebot der kalten Gerichte probieren, die am Tofustand verkauft werden. Nur Tofusalat gibt‘s da nicht, den gibt‘s nämlich am Nudelstand. Heute kaufe ich ein Gericht aus eingelegtem Rettich und sauren Gurken, sowie eines aus Minikartoffeln in Soße. Erst dachte ich ja es seien Wachteleier, dann vielleicht doch Pilze und dann habe ich mal gefragt. Die Soße ist wahnsinnig salzig. Die bleibt mir fast im Halse stecken, nachdem ich den Reflex, die Kartoffel gleich wieder auszuspucken, unterdrückt habe. Mit irgendwas dazu sollte es gehen.

 

Nach zu viel Mittagessen schnüre ich Laufschuhe. Der Muskelkater vom Wochenende ist inzwischen fast Geschichte. Es hat elf Grad unter Null. Ich bin eine gute halbe Stunde unterwegs, so wie ich mir das auch vorgenommen hatte. Eigentlich finde ich es gar nicht so kalt. Es zieht etwas an den Ohren. Und meine Handschuhe sind zum Laufen immer noch viel zu warm, aber ohne ist es auf längere Sicht zu kalt. Auf meiner Runde komme ich an einen zugefrorenen Fluss oder Kanal vorbei. Und an einem Fitnessgerätegelände. Aber Eisenstangen sind im Winter ganz schön kalt, denke ich mir, und so laufe ich lieber schnell weiter. Auf dem Sportplatz ist heute tatsächlich etwas los. Auf zwei kleinen zugefrorenen Feldern spielen jeweils zwei Teams Fußball. In Winterjacke und Schal. Und mit so schicken bunten Leibchen drüber. Am anderen Ende des Geländes haben in dicke Mäntel eingepackte Männer, die Fellmützen tragen, Eisblöcke rund um einen kleinen Kreisverkehr platziert. Vermutlich wird die Bearbeitung bald beginnen.

 

Abends probiere ich meine Jiaozi sowie die eingelegten Gurken. Sie sind der Länge nach geschnitten, sprich ein Gurkenstreifen ist gut 20cm lang, dafür aber nur einen oder zwei breit. Und das Zeug ist echt scharf und salzig. Für morgen ist Sonnenschein angesagt. Da werde ich nachmittags mal mit dem Foto losziehen.

10Dezember
2019

Bastelstunde

Der Vorteil früh wach zu werden liegt ganz klar darin, dass ich so schon am Morgen etwas Sport machen kann. Da ich die kommenden vier Morgenstunden, abgesehen vom Gang zum Wasserspender, sitzend verbringe, ist mir das ganz recht so. Zum Frühstück mache ich mir die Nudeln von gestern warm. Die Sicherung fliegt wieder, aber immerhin deutlich später. Mal abwarten. Die Nudeln kleben natürlich auch am Topfboden fest. Egal. Oben drauf kommt noch das angemachte oder eingelegte kalte Gemüse, das ich gestern gekauft habe und dessen Namen ich auch gleich wieder vergessen habe. Da es schmeckt, werde ich es einfach noch einmal kaufen.

 

Nach dem Unterricht gehe ich in der Markthalle vorbei, um mich mit Zutaten für das Mittagessen einzudecken. So bequem ich es finde mich einfach an einen (nicht gedeckten) Tisch zu setzen und etwas zu bestellen, so sehr fehlt mir Gemüse. Ich kaufe Pak Choi und Koriander. Zu Hause koche ich welche von den frischen Nudeln, die ich neulich gekauft habe. So langsam zieht der Alltag ein.

 

Um mein Gemüse irgendwie halbwegs effektiv zu waschen, bastel ich mir aus einer ausgedienten vier-Liter-Flasche eine Art Wascheimerchen, in dessen Boden ich ein paar Löcher steche, damit das Waschwasser auch wieder ablaufen kann. Eine kleinere Flasche dient als Besteckhalter. In der nächsten werde ich dann Tüten sammeln, aus einer anderen ein Mülleimerchen basteln usw.

 

Mit meiner Mütze bin ich inzwischen auch fast fertig. Und das nächste Projekt wartet schon.

09Dezember
2019

Bedeckt

Heute ist der Himmel zu ersten Mal nicht blau, die Sonne scheint nicht. Ich bin schon wieder ziemlich früh wach und nutze die mir bleibende Zeit. Auf dem Weg zum Unterricht stelle ich schnell fest, dass nicht nur der Himmel bedeckt, sondern dass auch das Thermometer merklich geklettert ist. Es ist fast warm. Zu warm. Also zumindest im Vergleich zu letzter Woche.

 

Mittags lasse ich die Fleecejacke zu Hause und gehe in einem uigurischen Schnellrestaurant einen Teller voller Nudeln in einer Art Tomatensoße sowie einen Salat aus Tofuhaut und Karotten essen. Das Restaurant ist halal, sie verkaufen keinen Alkohol, doch sie sprechen miteinander chinesisch. Schon wieder riesengroße Portionen. So viel schaffe ich überhaupt nicht. Unter den staunenden Augen der anwesenden Gäste am Nachbartisch packe ich mir kurzerhand die Hälfte davon ein. Die übriggebliebenen Speisen mitzunehmen ist nun nichts Seltsames mehr, seine eigene Box dafür auszupacken hingegen schon. Aber so viele Plastiktüten wie ich jetzt in nur einer Woche gesammelt habe, kommen sonst im Monat nicht zusammen. Da brauche ich nicht auch noch stapelweise Plastikboxen.

 

Das mit dem Müll ist eh so eine Sache. Meine Lehrerin meinte ja, in Harbin gäbe es (noch) keine Mülltrennung. Ich würde ja eher sagen, kein Privathaushalt trennt den Müll, weil das die Müllsammler*innen direkt an den Mülltonnen tun. Von meinem Fenster aus habe ich schon ein paar beobachten können, wie sie die Mülltonnen am gegenüberliegenden Hauseingang durchwühlt haben. Durchaus auch nach Einbruch der Dämmerung unter Zuhilfenahme einer Taschenlampe. Die Müllsammler*innen sammeln dann bestimmte, wertvollere Abfallanteile aus dem ganzen Restmüll heraus. Beispielsweise Plastik, aber auch die Mehrwegglasflaschen, die der Supermarkt hier auch nicht zurück nimmt.

 

Nachmittags kommt Ayi mit einer neuen (alten) Kochplatte. Letzte Woche, bei meinem Einzug hier, hat sie mir ja noch erzählt, sie käme einmal pro Woche um Küche, Bad und Eingangsbereich zu putzen. Sie war noch nie zum Putzen da. Aber sie hat heute den Matsch ihrer Stiefel dagelassen. Zurück zur Kochplatte. Die scheint zu funktionieren. Das wäre dann durchaus ein erster Fortschritt in Sachen Küchenausstattung.

 

08Dezember
2019

Sonntagmorgens halb zehn in China...

...meine Nachbarn hämmern und werden das auch den ganzen Tag über fortführen.

 

Ich wache um zwanzig nach sechs auf. Das ist das erste Mal seit einer Woche, dass ich deutlich mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen habe. Ich fühle mich ziemlich fit. Draußen ist es schon hell und zu Hause ist auch noch jemand wach. Wunderbar, so kann der Sonntag beginnen. Einige Zeit und einige Zeitungsseiten, Kaffeebecher und ungetoastete Toastbrotscheiben mit Erdnussbutter später scheint die Sonne dann auch schön warm zu meinem Fenster hinein. Hach, eigentlich ist das echt schön. Allerdings von der Wärme her fast nicht auszuhalten in Kombination mit der Heizung.

 

Da die Geschäfte auch sonntags geöffnet sind, gehe ich gegen Mittag ins benachbarte Einkaufszentrum. Ich kaufe mir eine Schere und ein kleines Küchenmesser, sowie ein Kiwisaftgetränk. Eigentlich will ich ja nur die Glasflasche, in der ich mir Ingwerwasser machen will, aber zuvor muss ich wohl eineinhalb Liter grüne Zuckerpampe austrinken. Was soll‘s. Ich habe sie mal auf dem Balkon kalt gestellt. Von der Dose „Rio light. Yoghurt Drink + Vodka“ mache ich lieber nur ein Foto. In der Markthalle löse ich noch mein Problem mit dem Mittagessen, indem ich mir kurzerhand eine Portion kalte Nudeln mit Gemüse und Sesamsoße mit nach Hause nehme. Die Morcheln darf die nette Dame hinter dem Tresen getrost behalten, die mochte ich ja noch nie.

 

Der Blick auf den Wetterbericht sagt gegen 14 Uhr nur noch minus fünf Grad. Da ich beschlossen habe, dass ich eigentlich erst ab minus zehn oder bei Schnee eine brauchbare Ausrede habe nicht joggen zu gehen, schnüre ich kurzerhand die Laufschuhe und laufe los. Gleich nebenan befindet sich ja ein Unicampus, der den großen Vorteil hat halbwegs autofrei zu sein und vermutlich auch geräumt zu werden, wenn doch mal etwas mehr Schnee fallen sollte. Außerdem hat er einige „natürliche“ Hindernisse wie Treppen vor den Gebäuden, die sich ganz gut in den Lauf einbeziehen lassen. Meine neuen Matten teste ich auch noch. Bin mal gespannt, was der Muskelkater morgen oder übermorgen dann so macht.

 

Nachmittags ist dann Lernprogramm angesagt, bis die Konzentrationslosigkeit mich vor die Tür zum Abendessen treibt. Letztlich lande ich bei einem in einem heißen Pfännchen servierten Schmorgericht mit Kartoffeln und ganz vielen langstieligen weißen Pilzen (es dürften diese ganz oben rechts sichtbaren gewesen sein). Ist lecker. Es gibt noch Reis und Tomatensuppe dazu. Das weiß ich, weil ich sie immerhin probiert habe.

 

Ich will auch so eine Jacke! 

07Dezember
2019

Markttag

Da heute kein Unterricht ist, kann ich ausschlafen und stehe erst gegen neu Uhr auf. Der Himmel ist blau, die Sonne lacht, Pläne habe ich keine gemacht, aber ein Spaziergang zum gestern Nacht entdeckten Markt wäre vielleicht eine Idee. Erst einmal beginnt der Samstag aber nicht großartig anders als er das sonst auch so tut. Mit Kaffee und putzen. Vielleicht mit dem Unterschied, dass ich zu Hause die Putzlappen nicht erst zweimal mit 60°C waschen muss, bevor sie nutzbar sind.

 

Mittags zieht es mich dann zu Markt. Dort gibt es allerhand zu kaufen. Obst, frisch und getrocknet bzw. gefroren und Gemüse, aber auch Backwaren, die teilweise vor Ort direkt hergestellt werden, Nudeln und an einem Stand gibt es sogar Chips. Ständeweise Nüsse und verschiedene Kerne. Als ich Mungobohnensprossen kaufe, gibt der Herr vom Nachbarstand der Verkäuferin Tipps, wie sie mich möglichst gut bescheißen könne.

 

Es gibt auch Fleisch jeglicher Art, auch ganze Hühner. Ein paar Meter weiter verkauft jemand Eselfleisch, und zwar, soweit sich das erahnen lässt, das ganze Tier. Auch Fisch wird zum Teil direkt vor Ort ausgenommen. Es gibt auch Meeresfrüchte. Und es gibt Schnaps in Plastikkanistern. So die kleine Einheit für den Hausgebrauch. An einer Ecke kann man Haushaltswaren erstehen, an manch anderer etwas zu essen. Ich nehme einen Jianbing, der sich hier als Pfannkuchen mit Kartoffelsteifenfüllung entpuppt. Ohne Soße.

 

Nach dem Marktbesuch schlendere ich noch etwas durch die angrenzenden Straßen, besorge schließlich im Supermarkt vor der Tür tiefgefrorene Jiaozi und frische Nudeln sowie einen Becher Sojamilch für morgen früh. Dann zieht es mich nach zwei Stunden unterwegs wieder zurück ins Warme.

 

Und dann versuche ich mich am Herd. Der Gasherd geht nicht, die Induktionsplatte verlangt einen entsprechenden Topf, da fällt der vorhandene raus und nur die Pfanne geht. Kaum steht die aber auf der Platte, springt die Sicherung in der ganzen Wohnung raus. Nach dem zehnten Mal Sicherung wieder reinmachen sind die (frischen!) Nudeln dann gar. Ayi schreibt mir, Montag gäbe es eine neue Kochplatte. Auch diesmal bin ich gespannt.

 

06Dezember
2019

Nikolaus

Der Tag beginnt mit zu wenig Schlaf und Kaffee. Bevor ich die Wohnung verlasse kann ich es mir nicht verkneifen noch ein Päckchen Kekse in die Schuhe meiner Mitbewohnerin zu stecken. Immerhin ist heute ja Nikolaustag. Zwei Stunden später fragt sie mich dann auch recht verwundert, warum ich das gemacht habe.

 

Beim Mittagessen mache ich auf einmal eine für mich doch seltsame Beobachtung. Während ich Bier in Plastiktüten aus Qingdao kenne, kann man hier auch Nudelsuppe in der Plastiktüte erwerben und dann als take away mit sich nehmen. Sieht, zugegeben, weniger ansehnlich und appetitlich aus als mit Bier.

 

Am Nachmittag nehme ich erneut den Bus um noch ein paar Sachen zu besorgen. Zuerst schlendere ich ziellos durch ein Einkaufszentrum, das, wie ich später draußen feststellen werde, auf „Schönheit“ spezialisiert ist. Dementsprechend gibt es Nagelstudios und Drogerien. Ein Stockwerk ist ein einziger Indoor-Spielplatz bzw. Sportplatz, mit Tanzstudio, Fechtbahn und Schwimmbad. Irgendwo dazwischen gibt‘s auch noch eine Sprachschule. Die Sportanlagen befinden sich an der Außenseite des Gebäudes und sind mit Glasscheiben vom Inneren abgetrennt, wo Eltern und Großeltern an Tischen sitzen, essen und trinken und auf die lieben Kleinen warten. Ein mit lauter künstlichen Pflanzen ausgiebig dekoriertes Thai-Restaurant gibt‘s auch. Riecht auch gut. Ich stecke mir den Flyer ein.

 

Nebenan, bei Carrefour, werde ich erst einmal am Eingang aufgehalten und muss meinen Rucksack in einen Beutel geben, der dann mit einer Niete verschlossen wird, bevor ich zum Shoppingerlebnis aufbrechen darf. Ich finde hier tatsächlich die ersehnten Matten. Qietschebunt, aber das war nun kein Kriterium. Anfang der Woche hatte ich nicht danach gesucht. Kaffee, ein Sparschäler und weiteres finden seinen Weg in den Einkaufswagen, bevor es mit dem Bus zurück geht.

 

Nach meiner erfolgreichen Einkaufstour habe ich Hunger und beschließe Essen zu gehen. Es ist kurz vor neun Uhr und somit auch schon ziemlich spät, wenn es darum geht ein noch geöffnetes Restaurant zu finden, aus dem man nicht sogleich heraus gekehrt werden wird. Nach einigen hundert Metern und etwas innerem Ringen setze ich mich dann in eines, das Spieße vom Grill verkauft. Zugegeben, das macht mit mehreren Personen deutlich mehr Spaß als alleine. Ich bestelle Kartoffel- und Süßkartoffelscheiben, sowie eine Eierfrucht und versuchsweise Tofuröllchen. Letztere bestehen aus Zwiebeln und Koriander, die in Tofuhaut gewickelt werden. Das ist richtig gut! Dazu noch kalte Kartoffelstreifen und sogenanntes Tigergemüse. Das Tigergemüse ist auch ein Salat, der aus frischem Koriander (einschließlich der Stiele), grünen Paprika, Zwiebeln und Frühlingszwiebeln besteht und mit Sojasoße angemacht wird. Die Bedienung ist beim Bestellen noch skeptisch, ob ich das auch essen würde. Dass die Eierfrucht mit einer einen halben Zentimeter dicken Knoblauchschicht bedeckt kommen wird, hält sie hingegen nicht für erwähnenswert. Lecker ist es.

 

Vor dem Restaurant sind lauter Marktstände aufgebaut, doch um die späte Uhrzeit ist natürlich kein Markt mehr. Ich gehe dennoch fasziniert die lange Marktstraße entlang, bis ich irgendwann gegenüber von Bahngleisen stehe. Ok, das war die falsche Richtung. Von der nächsten auftauchenden Person lasse ich mir den Weg zurück erklären. Dass ich vorhabe diesen („so weit!“) zu Fuß zu gehen, verwundert sie sichtlich. Wobei ich sagen muss, letztlich fand ich die gute halbe Stunde Spaziergang durch‘s nächtliche Harbin ganz angenehm, wenn auch ordentlich kalt.

 

Einen weiteren positiven Nebeneffekt hat die ganze Sache auch noch: ich stelle fest, dass es fast vor meiner Haustür auch um halb elf nachts noch Essen zu kaufen gibt. Ist zwar eher das, was als Snack durchgeht, aber dennoch gut zu wissen.

05Dezember
2019

Der erste Donnerstag

Um dreiviertel sechs ist meine Nacht zu Ende. Noch ist es dunkel, doch schon bald taucht über der Häuserfront vor meinem Fenster ein heller Streifen auf. In Ermangelung besserer Alternativen wiederhole ich kurzerhand den gestrigen Unterrichtsstoff.

 

Da mir meine Mitbewohnerin schon am ersten Abend eröffnet hat, dass sie morgens schlecht aus dem Bett käme und deshalb notorisch zu spät, klopfe ich jetzt morgens immer an ihre Tür. Heute grunzt sie aber nur und wird auch später nicht zum Unterricht auftauchen. Vielleicht sollte ich ihr verraten, dass ich den Verdacht habe, dass ihre Bettgehzeit und ihr morgendliches Problem in einem kausalen Zusammenhang stehen könnten?

 

Die ersten Unterrichtsminuten gibt‘s Einzelunterricht für mich. Dann taucht immerhin noch eine Person auf. Ab zehn sind wird dann zu sechst. Nach Unterrichtsschluss ereilt mich dann am ATM ein kurzer Schock: der Chip meiner Karte sei nicht lesbar. Am zweiten auch nicht. Einen Kilometer weiter hat es dann doch geklappt. Also muss ich zum Geld Abheben doch einen Spaziergang machen. Mist.

 

Da ich jetzt ohnehin schon unterwegs bin, versuche ich mich noch einmal in Sachen Mattenkauf. Ayi war nämlich heute nicht da und somit konnte ich sie auch nicht fragen. Hier gibt‘s schon das nächste Kaufhaus. Sechsstöckig. Allerdings nur mit Elektronik. Und eine Überwachungskamera wollte ich nun nicht gerade. Im letzten Stockwerk sehe ich allerdings zufälligerweise doch noch Matten. Zwar in Benutzung, aber da kann man ja mal nach der Quelle fragen. Was sich gar nicht als so leicht erweist, wenn eine weitere Verkäuferin einen Meter entfernt unablässig mit fast ohrenbetäubendem Lärm Paketband von einem Paketbandabroller abrollt.

 

Zurück zu Hause mache ich mich ans Wäsche Waschen. Nach dem Waschgang wird klar: das Wasser kommt so kalt aus der Leitung, dass es das Pulverwaschmittel einfach nicht auflöst. Ich helfe mit heißem Wasser aus der Dusche nach und wasche kurzerhand nochmal.

 

Als ich zum Abendessen losziehe, habe ich eigentlich Lust auf Reis, lande dann aber doch in einer Nudelbude. Dort gibt es mit dem Messer vom Nudelteigblock geschnittene Nudeln. Dafür nimmt der Koch den Teig in die Hand und schneidet die Nudeln so ab, dass sie im hohen Bogen in das siedende Wasser fliegen. Hat ein bisschen Ähnlichkeit mit geschabten Spätzle, aber der Teig ist fest und auch ohne Ei. Sieht cool aus, schmeckt auch, und die Hälfte der Kalorien pro Teller kommt bestimmt aus Öl.

 

Gibt's gleich um die Ecke im handlichen Ein-Liter-Gebinde: Bamberger Bier.

04Dezember
2019

K-k-k-k-kalt und müde

Der Jetlag hält an. Ich hänge noch mitten im Akklimatisierungssprozess fest. Schlafmangel, Müdigkeit, Gewöhnung an die Außentemperaturen, vor allem aber an den Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen, all das dauert an. So richtig Hunger habe ich auch nicht.

 

Schon direkt nach dem Verlassen des Hauses weht mir ein eisiger Wind entgegen. Heute ist es noch einmal kälter als gestern, doch die Sonne scheint. Der Vormittag vergeht unspektakulär. Mittags mache ich mich auf die Suche nach dem Supermarkt, in dem ich die Matten erstehen will. Auf dem Weg dorthin gehe ich allerdings erst einmal Jiaozi und einen großen Teller voller kalter „Salate“ (Eierfrucht, Spinat, Kartoffelstreifen, Tofu) essen. Dass man bei Minusgraden begeistert kalte Speisen zu sich nimmt, ist mir ja auch eher neu. Liegt vielleicht daran, dass ich zu Hause meine Heizung nicht dauerhaft durchbollern lasse? Ich schaffe mit Mühe und Not die Hälfte und lasse mir den Rest einpacken. Bevor ich das Restaurant verlasse, frage ich noch einmal nach dem Supermarkt. Ich bin zu weit gegangen und muss zurück.

 

Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein Restaurant oberhalb der Bahntrasse in zwei ausrangierten Personenzugwagen. Ich muss mir das in den nächsten Tagen mal genauer ansehen, heute war es mir zu kalt. Schon für das Foto wollte ich die Handschuhe kaum ausziehen. Aber das Wochenende soll milder werden und für Montag sind frühlingshafte zwei Minusgrade und Schneefall angesagt. Mal sehen, was kommt.

 

Der Supermarkt ist gut versteckt hinter mit dichten Vorhängen verhängten Türen. Kein Wunder eigentlich, irgendwie muss man ja eine Kälteschleuse einbauen. Im Erdgeschoss befinden sich lauter kleine oder größere Lebensmittelstände. Es gibt Gemüse, Gebäck, wilde Tortenkreationen in allen Farben, Fleisch und Wurstberge. Wurst scheint hier wohl eine regionale Spezialität zu sein. Nicht diese auch oft auf der Straße erhältlichen Miniwüstchen kann man hier erwerben, sondern richtige Wurstringe. Ich muss mal nachfragen, wie sie die essen. Auf Speisekarten habe ich bisher keine Wurst entdeckt. Im ersten Stock gibt‘s Textilien. Übrigens auch Wolle. Aber leider keine Matten. Ich ziehe erfolglos ab. Morgen frage ich Ayi mal nach einen Spielzeugsupermarkt.

 

Den Nachmittag habe ich dann kurzerhand verschlafen. Den Abend mit meinen überschaubaren Hausaufgaben ausklingen lassen.

 

03Dezember
2019

Unterricht und Einkaufstour

Ok, ich habe einen Jetlag. Der Nachtschlaf ist dann mit vier Stunden Schlaf kürzer als geplant. Dafür bin ich morgens erstaunlich fit. Kaffee, Dusche (heiß oder kalt, erinnert an diverse Turnhallen), los geht‘s!

 

Um acht Uhr beginnt der Unterricht. Insgesamt vier Stunden täglich, aufgeteilt auf zwei Kurse. Mit den beiden Lehrerinnen bin ich zufrieden, die Kursgröße ist auch super, den Rest werde ich sehen. Ayi hat auch wie versprochen eine neue Steckerleiste und eine neue Klemmlampe für mich. Diese ist rosa statt mintgrün. Schenkt sich nichts an Hübschheit.

 

Am Nachmittag nehme ich erst einmal den Bus zu Carrefour. Das ist ein riesen Supermarkt, in dem es Massen an Kram gibt, und auch jede Menge Lärm, der dort an allen Ecken und Enden von Mensch und Maschine produziert wird. „We wish you a merry Christmas“ in Dauerschleife. Auch schon auf dem Weg in den eigentlichen Markt, auf dem man an gefühlten hunderten von Läden vorbei muss. Ich habe jetzt Papier, den „Rikschakuli“, Erdnussbutter, Sesampaste, irgendwas mit Chili, Oreos mit Matchageschmack und Schwämme. Ach, und Waschmittel. Da wurde ich auch ausgiebig beraten und durfte an allen Flüssigwaschmitteln mal schnüffeln. Beim Honig hat die Beratung dazu geführt, dass ich lieber keinen kaufen wollte. Vielleicht hätte ich, passend zur Beschallung, mal nach Lebkuchen fragen sollen?

 

Auf dem Heimweg gehe ich noch schnell in einen Schreibwarenladen. Wirklich dringend brauche ich zwar nichts, aber die Verkäuferin strickt und ich will die Adresse des Ladens, in dem sie die Wolle gekauft hat. Außerdem kann ich einen orangeschreibenden Kugelschreiber schon durchaus gebrauchen (jetzt echt!).

 

Die Schwämme teste ich nach der Rückkehr in die Wohnung sogleich. Sie funktionieren. Die letzten müssen irgendwie kaputt gewesen sein, so wie das Waschbecken aussah.

 

16:30 Uhr, es ist stockdunkel draußen, der Mond scheint mit zunehmender Sichel über dem Innenhof. Nebenan hat es noch einen vierstöckigen Sport-Outlet, da will ich mein Glück versuchen und eine Yogamatte erstehen. Haben sie aber nicht, nur Klamotten und Basketbälle. Apropos Basketbälle, Schulklassen habe ich heute schon joggen gesehen. Da hatte es um die 15 Grad unter Null.

 

Also gehe ich weiter, hungrig, auf der Suche nach etwas Essbarem. Weit muss man da ja meist nicht. Heute soll es was mit Reis sein. Das Essen ist gut, noch vielversprechender sind aber die zugeschnittenen und dem Anschein nach ursprünglich für das Quietschebunte liebende Kinder gedachte Matten, die auf die Bänke gebunden sind. Ich lasse mir gleich mal sagen, wo ich so etwas auftreiben kann. Das tut‘s nämlich auch auf dem Boden. Morgen werde ich mein Glück im Laden versuchen. Heute hatte er schon zu.

 

Inzwischen ist das Thermometer draußen auf minus 20 Grad gesunken. Dank nicht regelbarer Heizung sitze ich hier im T-Shirt.

02Dezember
2019

Ab in den Norden

In Peking geht‘s weiter in Richtung Sicherheitskontrolle. Fingerabdrücke abgeben, immigration card ausfüllen, nochmal Fingerabdrücke überprüfen, Gesicht scannen lassen. Dann gibt‘s den Einreisestempel in den Pass und es geht auf zum Transfer. Bis das auf recht langen Gängen mit kurzen Fahrten des Flughafenshuttles dann einschließlich weiterer Kontrollen alles erledigt ist, ist schon fast boarding time für den Flug ins noch einmal über 1000km entfernt liegende Harbin. Noch ist es dunkel.

 

Ich besteige den deutlich kleineren Flieger schon als eine der letzten. Nach ein paar Minuten Wartezeit und einer kurzen Unterhaltung mit meinen Nachbarn erscheint nicht nur langsam der erste Silberstreif am Horizont, sondern es geht auch zusammen mit der aufgehenden Sonne hoch in die Lüfte. Ein wunderschönes Farbspiel zeichnet sich am Himmel ab.

 

Oben angekommen kündigt das Boardpersonal dann die Ausgabe der morgendlichen Snacks an. Ein Wagen voller eingeschweißter Muffins. Ich frage mal nach, ob es für mich auch noch eine Extrawurst gibt. Und ja, die haben sie dabei: Toastbrot ohne Rand, eins belegt mit Radicchio, eines mit zwei Scheibchen geschälter Gurke. Ich nenne das mal ausbaufähig.

 

Im Landeanflug sieht man die erste Schneeschicht, die wie Puderzucker die Erde bedeckt. Es ist deutlich kälter. Nachdem ich auch meinen Koffer wieder habe, kaufe ich mir eine Fahrkarte für den Bus in die Innenstadt und gehe um kurz vor neun Ortszeit erst mal Kaffee und Pommes frühstücken, denn so viel Auswahl hat der Flughafen nicht zu bieten.

 

Auf der Fahrt in die Stadt und dem sich anschließenden Spaziergang zur Sprachschule bekomme ich zumindest einen ersten Eindruck von Harbin. Nicht zu groß, nicht zu klein, ziemlich kalt, und überall kratzen Menschengruppen in neonfarbenen Anzügen mit Hacken Eis von Straßen und Gehwegen. Und weil nicht gestreut und auch nicht gesalzen wird, ist es teilweise ganz schön rutschig.

 

Gegen elf bin ich dann an der Sprachschule, das reicht für die ersten Absprachen, dann machen die erst einmal Mittagspause. Auch gut, ich lasse meinen Koffer da und gehe eine Runde um den Block, die erste Nudelsuppe essen und einmal über‘s Gelände des Harbin Institute for Technology. Knapp zwei Stunden später noch ein bisschen Papierkram und dann bringt mich eine Frau, nennen sie wir mal Ayi, zu meinem Zimmer. Ich teile in den nächsten Wochen mit einer jungen Koreanerin eine Zweizimmerwohnung, doch jetzt ist sie nicht da.

 

Das Zimmer ist ok, mit Pullover ist es drinnen kaum auszuhalten. Ayi meint, wenn irgendwas los sei, soll ich ihr ein Bild per WeChat schicken, zum Beispiel wenn das Licht nicht geht. Ayi geht, ich packe erstmal ein paar Sachen um und meine Mitbewohnerin taucht auch auf. Ich habe sie zur Begrüßung erfolgreich erschreckt, denn sie hat wohl nicht mit mit gerechnet. Mehr als Dauerkichern bekomme ich daraufhin auch nicht mehr aus ihr heraus.

 

Das Lampenproblem taucht dann schon gut zwei Stunden später wieder auf. Aus dem Stecker der Schreibtischlampe sprühen Funken. Ayi kommentiert das mit „Ich weiß!“ Das war ja auch genau das, was ich in der Situation als erstes erfahren wollte. Sie hat mir für morgen eine neue Steckerleiste und eine neue Lampe versprochen. Ich bin mal gespannt und nehme heute mit dem brummenden Neonlicht Vorlieb.

 

Dann ziehe ich noch ein bisschen durchs Viertel, das recht belebt zu sein scheint. Bleibe staunend vor einem Pullover mit der Aufschrift „Christiane F.“ (brauch ich den?) stehen, besorge Hefte, Becher (mit Flamingos), Klopapier (ohne Flamingos) und Abendessen. In dem kleinen Restaurant gibt‘s nur warmes Schwarzbier aus Dosen. Angeblich mit „deutschem Geschmack“. Ok, vielleicht wenn man es in offenen Fässern auf dem Seeweg nach China bringt, ansonsten trifft‘s „ungenießbar“ deutlich besser.

 

Und dann treffe ich doch noch einmal auf meine Mitbewohnerin. Wir sitzen morgen auch im gleichen Kurs. Und sie hat mir zwei koreanische Gesichtsmasken als Willkommengeschenk überreicht.

 

01Dezember
2019

Morgens halb zehn in Deutschland...

… also irgendwann zwischen Anfahrt, Check-Inn, letztem Kaffee und Sicherheitskontrolle. Kurz vor zwölf bin ich dann im Flugzeug. Es ist doch ziemlich voll geworden. Aber ich sitze am Gang und alles passt soweit für mich. Hinter mir häkelt eine Frau. Schon witzig, sonst sehe ich dabei eigentlich nie jemanden. Meine Nadeln im Handgepäck haben auch keinen interessiert.

 

Kurz nach dem Start startet dann auch mein kleiner Selbstversuch in Sachen „Essen bei der Hotline umbuchen“. Das erste Essen ist schon einmal nicht auffindbar, eine überaus freundliche und engagierte Flugbegleiterin geht dann aber von sich aus los und wird letztlich bei der Crewverpflegung fündig. Zwei Schüsselchen voller VGML, weil ja kein Salat dabei sei. Und es schmeckt und sieht auf jeden Fall auch besser aus als die Dosenwurst mit Kartoffelbrei neben mir. Meine zweite Mahlzeit ist übrigens freiwillig und von alleine aufgetaucht. Und als Entschuldigung für die abhanden gekommene gab‘s einen Pandabärenkühlschrankmagneten.

 

Gut acht Stunden nach Abflug geht es in den Landeanflug auf Peking. Dafür erst einmal um die Stadt herum, dann noch einmal darüber hinweg. Die Ausmaße sind riesig, die Bilder aus dem Fenster leider nichts geworden. Stadt, so weit das Auge reicht. Dann setzen wir, leicht holpernd, auf. Immerhin in Deutschland ist da noch Sonntag.