31Januar
2020

Heimwärts

Ich bin früh wach, wie eigentlich fast jeden Tag in den letzten beiden Monaten. Es gibt Kaffee, ich checke die Zeitungsberichte und Abflüge an den Flughäfen. Sieht gut aus. Aus Deutschland trudeln noch Nachrichten ein, ob ich denn rauskäme? Ich zähle weiter Stunden.

 

Ich muss vormittags noch mal schnell zur Sprachschule, um etwas abzuholen. Die Tür im Erdgeschoss ist von innen verschlossen, klopfen hilft auch nicht. Also schicke ich meiner Lehrerin eine Nachricht, die wiederum eine weiterschickt um mir dann mitzuteilen, dass gleich jemand käme. Kurz darauf kommt Ayi an, wieder sichtlich panisch. Sie klingelt an der Klingel neben der Tür. Unglaublich, die habe ich echt nicht gesehen. Eine Frau kommt und macht auf. Ayi meint, ich solle draußen warten. Wie nett. Ich gehe trotzdem rein. Ayi kommt kurz darauf wieder, hält mir noch einen Vortrag und verabschiedet sich dann.

 

Ich sammle meinen Müll zusammen und verfrachte ihn ihn Plastiktüten. Es gibt noch einmal Nudelsnack mit Resten zum Mittagessen. Und insgesamt drei Bananen, die ich noch aufessen muss. Kulinarischer Hochgenuss sieht anders aus. Ich spül es mit Cola runter, der Kaffee ist jetzt leer. Mein Koffer liegt auf dem B(r)ett, die Liste sagt dreiundzwanzig Kilo und dann packe ich noch ein bisschen Kram dazu, den ich nicht gewogen habe. Das sollte hinhauen.

 

Mir bleibt noch etwas Zeit. Ich mache eine Runde Sport und im Vergleich zu den letzten Tagen läuft es heute tatsächlich wieder ganz gut, ganz rund, recht konzentriert. Vielleicht fällt doch schon der erste Stress von mir ab? Ich mache meine dritte Mütze fertig. Dann besorge ich noch zwei Packungen Oreos mit Matchaeisgeschmack. Die kommen auch noch in den Koffer. Klick, klack, Schloss zu.

 

Ich lege den Schlüssel auf den Tisch und ziehe die Tür hinter mir zu. Trage den Koffer runter, ziehe ihn über den vereisten Boden zur Hauptstraße. Ich winke mir ein Taxi heran. Ob er zum Flughafen fahre, frage ich. Es wird eine ruhige Fahrt, nur kurz unterbrochen von einem Anruf. Er sei auf dem Weg zum Flughafen, erzählt der Fahrer (s)einer Frau. Mit einem Gast, der nach Hause fliege. Hey, das bin ja ich. Ich hab‘s noch nicht ganz realisiert.

 

Am Flughafen heißt es hinter einer Absperrung Schlange stehen. Hinter einem Tisch sitzen drei Personen, die Mundschutz und Haube tragen und auf einen Monitor starren. Irgendwann dürfen wir weiter, dem Mann vor mir hält jemand ein Thermometer an den Kopf. Ich checke meinen Koffer ein. Dreiundzwanzig Komma acht Kilo. Passt. Ab Peking gibt‘s keinen Gangplatz mehr. Mist. Ich habe massig Zeit und schau mir noch mal an, was die da hinter dem Tisch eigentlich so machen. Irgendwie nichts. Sie haben wohl so eine Art Richtthermometer, aber in erster Linie lassen sie Leute in der Schlange warten. Mit mir im Rücken werden sie etwas unruhig. Mir ist das hier aber auch nicht so wohl.

 

Ich gehe zur Sicherheitskontrolle. Man kann in einer Vitrine bestaunen, was Leute schon so alles im Handgepäck mitnehmen wollten. Inbus, Hammer, Sechskantschlüssel. Besonders gut gefällt mir der drei-Liter-Kanister Pflanzenöl. Erst noch eine Temperaturkontrolle. Dann das übliche Prozedere. Sie tasten meine Schuhe ab. An meinen Füßen. Der Kerl hinter mir hat sein Aftershave nicht eingecheckt und muss jetzt eine Karte ausfüllen. Ich drehe eine Runde über den Flughafen. Auf dem Klo gibt‘s keine Seife. Hauptsache Maske auf! Hunger treibt mich zu McDonald‘s. Einmal Pommes, bitte. Bonnummer 13125. Ich muss grinsen. Und noch einmal extra Ketchup, bitte. Die Reinigungsdame fragt, wann mein Flug ginge. Und wohin. Sie lächelt. Ich soll mich doch bitte nach vorn setzen, sie mache da hinten jetzt zu.

 

Am Gate steht ein Mann mit Schwimmbrille und Einmalhandschuhen, wie zum Haarefärben, und telefoniert. Ich glaube, er merkt, dass ich ein Foto von ihm machen will. Aber das ist mir jetzt auch egal, das mache ich trotzdem.

 

Der Flieger ist ziemlich voll, gut zwei Stunden geht es in Richtung Süden. Es kommt mir so wie vor einer halben Ewigkeit vor, als ich den Weg in die andere Richtung angetreten habe. Wegen des Coronavirus‘ sei die Bordverpflegung umgestellt worden, plärrt es aus den Lautsprechern. Es gibt belegte Sandwichs. Heute ein vegetarisches für mich, extra markiert. Mit Ei und Käse und Mayo und Essiggurke. Das Ei schubse ich auf die Frischhaltefolie, der Rest schmeckt auch so bescheiden genug. Unterwegs gibt‘s noch eine Runde Temperaturkontrolle. Und wir müssen alle ein Formular ausfüllen. Was ist denn machen soll, wenn ich umsteige, will ich wissen, weil ich keine Adresse in Peking angeben kann. Umsteigen reinschreiben, lautet die Antwort. Kann ich auch auf englisch tun, aber da habe ich die Zeichen schon hingekritzelt.

 

Der Platz neben mir ist frei, der Kerl am Fenster pennt. Er will weder Sandwich noch Wasserfläschchen, Temperatur messen schaffen sie auch so. Ich vergrabe mich hinter Häkelnadel und Wollknäul. Etwas zum Festhalten dabei zu haben ist nicht schlecht, auch wenn es nur ein alberner Versuch mir lauter Kleinteilen ist. Blöderweise habe ich alle Tüten entsorgt. Also bediene ich mich an den Kotztüten vor mir. An der Perforierung knicken, abreißen, einreißen, zerreißen. Ein Blick über den Gang, die Frau auf der anderen Seite lacht jetzt auch. Ich zucke die Schultern verschwörerisch, stecke die kaputte Tüte zurück und versuche mein Glück an der nächsten.

 

Wir landen. Ich steige aus. Kontrolle. Mit dem Shuttle geht es zum anderen Terminal. Noch eine Kontrolle. Schlage stehen. Ausreisestempel. Weitergehen. Sicherheitskontrolle. Mein Rucksack muss zweimal durch den Röntgenapparat. Die Frau am Monitor beugt sich nach vorn und murmelt dann irgendwas von Stift. Ich darf ihn mitnehmen. Eine Frau trägt ihr Kleinkind auf dem Arm und hat eine riesengroße Plastiktüte über sich und das Kind gezogen. Vor dem Trinkwasserautomaten bildet sich eine Schlange. In den Geschäften ist kaum jemand. Ich gehe in Richtung Gate. Es ist seltsam ruhig, trotz aller Geschäftigkeit.