29Dezember
2019

Tempeltour

Der Schneeschippwecker geht gegen sechs. Ich muss gar nicht aus mehr dem Fenster schauen um zu wissen, ob oder dass es geschneit hat. Als ich es dann doch tue, blicke ich auf gut sieben bis acht Zentimeter. Und es schneit weiter. Ich stehe auf und mache mir einen Kaffee. Und ich habe arschigen Muskelkater. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Heute komme ich etwas früher los als gestern. Mit Baozi im Gepäck besteige ich den Bus in Richtung Innenstadt. Ich will mir einen Tempel ansehen. Der Bus ist voll, ein Junge mit einer Wurst auf einem Schaschlikspieß quetscht sich an mir vorbei. Die Straße ist voller Neuschnee, wir stehen im Stau. Obwohl hupen den Verkehr nun auch nicht beschleunigt, wird fleißig gehupt.

 

Ich steige nach etwas über einer halben Stunde Fahrt aus dem gut geheizten Bus aus und mache mich zu Fuß auf die letzten paar hundert Meter. Es schneit weiterhin. Vor dem Tempel gibt es allerhand kleine Läden, die allerhand Dinge verkaufen, die man wohl zur Religionsausübung benötigen könnte. Die Menschen fegen die Gehsteige davor. Ich schaue nur von außen durch die Fenster und stelle etwas verwundert fest, dass sich nicht unweit von mir ein Riesenrad befindet.

 

Die Eintrittskarte zum Tempel gibt‘s für zehn Yuan. Innen drin verkaufen sie Räucherstäbchen. Ich gehe durch die ungeheizten Gebäude. In einem hängen Verhaltensregeln für die Angestellten aus. Bitte beim Arbeiten nicht laut reden und das Essen aufessen. Es ist nicht viel los. Touristen*innen scheinen kaum da zu sein, die allermeisten Besucher*innen sind wohl Gläubige. Und die anderen anwesenden Personen entweder mit dem Kehren und Schippen der Wege beschäftigt, Sicherheitspersonal oder Mönche. Am hinteren Ende dessen, was ich zu diesem Zeitpunkt noch für das hintere Ende des Tempels halte, werde ich ganz ungefragt hinter eine Absperrung geschickt und darf mir alles ein bisschen näher ansehen. Sonst hat sich da auch keiner hinverirrt.

 

 

Ich gehe wieder nach vorne zurück. Meine Füße sind ein bisschen kalt und ich muss auf‘s Klo. Eine Frau in einem übergroßen dunkelgrünen Mantel spricht alle Besucher an und will sie zum Essen schicken. Ich will jetzt aber erst auf‘s Klo. Es gibt eine öffentliche Toilette ohne Türen mit Rinne. Wer ein großes Geschäft verrichten muss, soll bitte ganz nach hinten gehen. Steht in großen, roten Zeichen an der Wand.

 

Danach gehe ich dann zurück. Die Frau spricht mich noch einmal an. Also gut, dann schau ich mal, was es da gibt. Zwischen zwei Gebäuden geht es entlang, bis am Ende des Ganges eine Tür in das linke Gebäude führt. Mir kommen ein paar Arbeiterinnen entgegen. Es geht die Treppe herunter. Ich bin etwas skeptisch und bleibe stehen. Sekunden später schickt mich eine ältere Frau weiter, ich solle doch da runter gehen. Alles klar. Das fühlt sich trotzdem seltsam und auch irgendwie unpassend an. Unten angekommen stehe ich plötzlich in einem Speisesaal. Hinten kann man sich Geschirr und Stäbchen nehmen, in der Mitte des Raumes befinden sich Tische und Bänke und vorn eine Essensausgabe. Ich habe nur einfach noch überhaupt keinen Hunger. Aber es ist hier unten wunderbar warm.

 

Also setze ich mich hin und beobachte das gesellige Treiben. Das Schweigegebot an der Wand scheint eher ein Handlungsvorschlag als eine festgesetzte Regel zu sein, dennoch ist es hier bedeutend ruhiger als an vielen anderen Orten. Und am Handy hängt zur Abwechslung auch mal niemand. Es gibt Mantou, Suppe und irgendwas, das nach Sauerkraut oder Kartoffelstreifen aussieht. Ein Mann will wissen, wo ich herkomme. Und erzählt mir, sie äßen hier alle kein Fleisch. Außerdem interessiert er sich dafür, woran ich glaube. Und eigentlich findet er es wohl auch egal, woran man glaubt, Hauptsache man glaubt an irgendwas.

 

Als mir wieder wärmer ist, beschließe ich weiter zu gehen. Die hintere Tür ist nun geschlossen, man muss an der Küche vorbei über eine kleine Treppe hinaus und steht dann fast da, wo kurze Zeit zuvor noch die Frau die Besucher*innen in den Keller schickte. Ob sie einfach alle einladen, wenn die Arbeiter*innen Mittagspause machen? Mir fällt nicht zum ersten Mal heute auf, dass ich reichlich wenig über den Buddhismus weiß.

 

 

Ich gehe nach rechts weiter und stelle fest, dass das Gelände doch um einiges größer ist, als ich angenommen hatte, und sich der Hauptteil der Anlage und ein weiterer Eingang gut zweihundert Meter weiter befinden. Es schneit weiter. Überall wird fleißig Schnee geschippt und gefegt. Ich hätte fast Lust mitzumachen, denn das hält bestimmt warm. Zumindest wärmer als Fotos zu machen, wofür ich immer die Handschuhe ausziehen muss. Von einem erhöhten Gebäude aus kann man über eine Mauer in die angrenzende Anlage blicken. Das könnten Unterkünfte sein.

 

 

Nachdem ich die Anlage verlassen habe gehe ich in Richtung Riesenrad weiter. Den Wegesrand säumen jetzt nicht mehr nur die Läden der Ladenzeile auf der rechten, sondern noch eine wilde Ansammlung von kleinen, abgestellten Verkaufswagen auf der linken Seite. Ich nehme an, im Sommer ist hier deutlich mehr los. Und ich stelle ein paar Meter weiter fest, dass die vor Kurzem noch für Unterkünfte gehaltenen Gebäude, zu einem weiteren Tempel gehören. Gehe ich halt mal rein.

 

Die Anlage macht einen familiäreren Eindruck auf mich. Einige Menschen brennen Räucherstäbchen ab, auch hier wird der Schnee weggefegt. Ein kleiner Junge hilft mit. Es ist noch weniger los, es ist aber auch deutlich kleiner. An der Wand hängt ein Plakat, dass die Mönche und Nonnen des Klosters vorstellt. Ich bin leicht irritiert. Frauen und Männer in einer Anlage? Vielleicht habe ich auch was missverstanden

 

Nach ein paar Minuten verlasse ich die kleine Anlage auch schon wieder und wende mich weiter in Richtung Riesenrad. Ich stehe praktisch nach dem Verlassen des kleinen Tempels ja praktisch schon direkt vor dem Eingang zum Freizeitpark. Die Tür ist geöffnet, ein Mann kehrt Schnee weg. Ich blicke etwas irritiert durch das Tor und den Torbogen. Hinter mir kommen zwei Mönche an, die das Tor einfach passieren. Und ich beschließe ihnen zu folgen.

 

 

Der Weg führt auf ein verfallenes Gebäude zu, das sich als russisch-orthodoxe Kirche der 1930er Jahre entpuppt. Ungefähr 200 Meter weiter ist der Eingang zum Riesenrad. Ich mache eine kleine Runde über den Park, dessen Fahrgeschäfte im Winter natürlich nicht in Betrieb sind, stapfe durch den Schnee, passiere eine Achterbahn, und gehe dann zu einem anderen Tor wieder hinaus. Ich habe Hunger. Und kalt ist es auch.

 

Hinter dem Tor ist auch gleich die nächste Bushaltestelle, doch eigentlich will ich gern erst etwas essen und dann weiter zum Konfuziustempel. Um die Ecke finde ich ein kleines Restaurant, das Essen im Steinguttopf serviert. Ich nehme das Gemüsegericht und wärme mich auf. Die Morcheln habe ich leider auf dem Foto übersehen, und nur Gemüse reicht gerade auch nicht, also noch eine Schüssel Reis dazu und ordentlich Chiliöl hinein. Das macht mich satt und der volle Bauch macht müde und Lust auf noch mehr Tempel und Museen habe ich jetzt echt nicht mehr. Mit dem nächsten warmen Bus geht es heim.