17Dezember
2019

Nicht alles Wurst

Der Mann, der im Innenhof vor meinem Fenster über Eisentor und Parkplatz wacht, beginnt scheinbar um fünf Uhr dreißig seine Schicht. Oder er ist begeisterter Frühaufsteher. Zumindest ist es noch stockdunkel, als er den in der Nacht frisch gefallenen Schnee wegschippt. Was in einem Innenhof, der von sechs- bis achtstöckigen Häusern umgeben ist, wunderbar hallt und jeden Wecker erfolgreich ersetzt.

 

Heute Morgen eile ich zwischen meinen beiden Kursen tatsächlich schnell in die Markthalle, um mir was zu essen zu besorgen. Ich habe so Hunger. Ich kaufe zwei mit Schnittknoblauch gefüllte handtellergroße Backwaren, die gefüllten Pfannkuchen ein wenig ähneln und in Öl ausgebacken wurden. Mit Fett sollte man hier besser nicht auf Kriegsfuß stehen.

 

Im Unterricht sprechen wir über Wurst. Wurst, muss man dafür wissen, heißt genauso wie Darm. Was dann bei mir die Frage aufwirft, aus was hier eigentlich die Wurstpelle hergestellt wird? Die Lehrerin meint, eher nicht aus Darm. Wirklich wissen tut sie es aber auch nicht. In der Markthalle werden ja stapelweise Würste angeboten. Ein Relikt aus der Zeit, in der Harbin unter russischem Einfluss stand. Manche davon mit einem Durchmesser von über zehn Zentimetern, andere erinnern eher an Bockwürste.

 

 

Auch auf der Straße gibt es gegrillte und mehrfach eingeschnittene Bockwürste. Da fehlt nur noch die Currysoße und dann geht Harbin als Berlin 2.0 durch. Zumindest was die Dichte der Würstchenbuden angeht. Es gibt auch Würste, die an Wollwürste erinnern. Und diese eingeschweißten gibt‘s natürlich auch noch. Schauder.

 

 

Da joggen nach dem Mittagessen nicht richtig funktioniert, probiere ich es heute mal vorher. Funktioniert leider auch nicht wirklich, was allerdings nicht am leeren Magen, sondern an den glatten Straßen liegt. Die Eiswegfegerei löst nämlich das Problem überfrierender Nässe sowas von überhaupt nicht. Egal wie viel da gefegt wird. Ich schleiche also eher vorsichtig über das Gelände, was ganz schon anstrengend ist.

 

Entlang der Fußgängerzone werden die gestern bereits beleuchteten Eisklötze heute bearbeitet. Ich weiß nicht, wie die Einteilung der Eisbearbeitungsteams verlief, vielleicht nach Fakultäten oder so? Sieht auf jeden Fall so aus, als während das alles Student*innen, die da mit Gabeln und anderen Gerätschaften Eis abschaben. Und sie tragen zu großen Teilen unglaublich orange Mäntel. Und mindestens eine trägt Knöchelsocken zu hochgekrempelten Jeans. Nur Eisblock Nummer 13 steht noch ganz unbearbeitet da.

 

Ein paar hundert Meter weiter reparieren ein paar Arbeiter auf der Straße einen LKW, der eigentlich den Schnee mittels großer Walze wegkehrt. Sie haben irgendwas ausgebaut, was gut einen Meter hoch ist. Die restlichen Einzelteile liegen in einem Umkreis von ca. drei Metern auf der Straße verteilt. Mir ist kalt, ich jogge heim. Vor dem Campus verkauft ein Mann Spruchbänder für Neujahr. Und zwanzig Zentimeter hohe Plastikweihnachtsbäume. Mit Glimmer.

 

Abends gehe ich einen Teller Gemüse mit Reis essen und anschließend die Straße entlang. Im Fenster eines weiteren uigurischen Restaurants sehe ich Tüten mit kleinen, flachen Fladenbroten. Ich betrete das Restaurant, erkundige mich nach dem Preis und beschließe zwei zu kaufen. Das seien übrigens keine Brote, sagt man mir, sondern Naan. Xinjiang-Naan.

 

Auf dem letzten Stück meines Heimweg kann ich noch beobachten, wie die Schneeberge vom Straßenrand oder Gehweg auf Lastwagen geschaufelt werden. So werden sie also wegtransportiert. Eine der abenteuerlichen Stromleitungen, die von der einen Häuserzeile über die Straße hinweg zur gegenüberliegenden Häuserzeile gespannt wurde, ist nach unten herabgefallen und baumelt jetzt auf nicht einmal zwei Meter Höhe über der Fahrbahn. Mit zwei daran geknüpften Plastiktüten kann man sie jetzt viel besser erkennen und so sicherlich erfolgreich Unfälle vermeiden. Immer schön auf Sicherheit achten!