03Januar
2020

Kochkünste

Heute Morgen sitze ich erst einmal allein mit meiner Lehrerin im Klassenraum. Sie scheint das alles andere als schlecht zu finden und bläst gleich mal das Diktat ab. Die anderen, also insgesamt drei, trudeln dann doch noch nacheinander ein. Eine hat heute gleich zwei Becher Kaffee mit dabei. Vielleicht ist sie heute extra müde. Weil die anderen jetzt doch gekommen sind, gibt es doch noch Diktat.

 

Meine Lehrerin will wissen, wie lange ich in Harbin bleibe. Und was ich dann nach dem Sprachkurs mache. Als ihr dämmert, dass das nur für ein paar Wochen ist, ist sie doch etwas erstaunt. Man muss sich im Urlaub doch erholen und nicht fleißig lernen. Meinen Einwand, fleißig lernen könne man das, was ich hier mache, ja wohl kaum nennen, will sie nicht gelten lassen. „Erholen“ ist neben „beschäftigt“ und „Sicherheit“ definitiv ein weiteres Reizwort für mich. „Erholen“ ist irgendwie die kleine, nette Schwester von „lass mich in Ruhe“ wenn man es über sich selbst sagt. Was es so als Handlungsanweisung an andere bedeutet, ist mir manchmal etwas schleierhaft.

 

Danach geht‘s erst einmal weiter mit dem Thema Selbststudium bzw. sich selbst Kenntnisse aneignen. Jede*r darf mal erzählen, was er oder sie sich so selbst beigebracht hat. Die Lehrerin steuert kochen bei. Mein neuerdings im Selbststudium Deutsch lernender Mitschüler reist jetzt übrigens erst einmal nach Peking. Er muss sich mal dringend ausruhen. Wie lange ist ungewiss. Immerhin lernt er jetzt seit August ohne Pause. Also mal abgesehen von den Wochenenden und den bestimmt zwei Tagen pro Woche, die er fehlt. Aber sein eigentliches Ziel ist es in Peking gut Deutsch zu lernen. Dann viel Glück!

 

Und dann will meine Lehrerin noch gern wissen, was meine Mitschülerin eigentlich studiert. Wirtschaft. Und in welcher Sprache. Englisch. Und warum in China. Ah, und gar nicht in Harbin. Und ob sie dann später mal in China arbeiten wolle. Na vielleicht. Nee, das solle sie mal bloß nicht machen, viel zu anstrengend. Da ist man die ganze Zeit über total beschäftigt. Reizwort zwei. Jetzt brauche ich nur noch meine tägliche Dröhnung Sicherheit.

 

Im Konversationskurs kommen wir dann auch auf Essen kochen zu sprechen. Die Lehrerin erzählt, dass sie immer im Internet nach Rezepten suche, weil sie nicht kochen könne. Das scheint hier typisch zu sein. Also nicht das Suchen nach Rezepten im Internet, sondern die Unfähigkeit sich etwas zu essen zuzubereiten, das über Nudelsnacks und, äh, und Nudelsnacks hinausgeht. Ich mache das nach dem Unterricht gleich mal nach und nehme mit in der Markthalle eine Portion kalte Nudeln mit Gemüse mit nach Hause. Man sollte sich ja auch ein bisschen an die Umgebung anpassen.

 

Mit Kaffee und Kopfschmerzen geht‘s an die Hausaufgaben. Mit Begeisterung entnehme ich der Wettervorhersage, dass für die nächste Woche lediglich einstellige Minusgrade vorhergesagt werden. Bisschen Bewegung, bisschen Abendessen, bisschen erholen und dann bisschen versuchen einzuschlafen. Letzteres während die Nachbarn nach dreiundzwanzig Uhr noch einen gepflegten Familienstreit austragen, ich verstehe aber leider durch die Wände nicht worum es geht, und die Kerle im Hof eine Demonstration ihres deutlich zu hohen Blutalkoholgehalts geben. Irgendwann schlafe ich ein.