11Januar
2020

Synagoge, Schokolade, Stäbchen

Auch am Samstagmorgen bin ich gegen halb sieben wach. Zum Baozikaufen gehe ich nicht vor die Tür, ich habe noch genug Reste im Kühlschrank, die als Frühstück herhalten müssen. Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Heute will ich das Museum in der neuen Synagoge besuchen. Ich weiß nicht sonderlich viel darüber, nur dass es ein Kunstmuseum und eine Ausstellung über jüdisches Leben in Harbin beheimaten soll. Mal sehen. Mit dem Bus fahre ich bis zu einem Einkaufszentrum, sehe vom Bus aus schon das Straßenschild der Straße, in der das Museum sein soll und gehe dann nach dem Aussteigen erst über eine Brücke und schließlich eine kleine Gasse entlang in Richtung Museum.

 

 

Unterwegs passiere ich eine Restaurants, die ganz verlockend aussehen und ein Schild, das auf eine Kampfkunstschule hinweist. Der Innenhof sieht aber eher nach, ähm, chaotischem chinesischem Innenhof ohne weitere Hinweise auf Kampfkunst aus. Vielleicht dank koreanischer Konkurrenz geschlossen?

 

 

Ich betrete wenig später die neue Synagoge. Der Ticketstand außerhalb ist nicht besetzt. Am Türknauf baumeln kleine Glöckchen, die den Angestellten die Ankunft neuer Besucher ankündigen. Röntgengerät und Detektor sind außer Betrieb. Die Eintrittskarte (25 Yuan) gibt‘s an einem provisorischen Tischchen, auf dem Teebecher stehen.

 

 

Im Erdgeschoss sind Bilder aus Harbin ausgestellt. Einerseits Aquarelle, von denen viele Kirchen darstellen, andererseits auch groß abgezogene Fotos. Von den Autos, die man sehen kann, schätze ich recht viele auf in den späten 1990er oder frühen 2000er Jahren aufgenommen. Es ist auf jeden Fall weniger los und Fahrräder sieht man auch noch mehr.

 

 

 

Auf der Galerie im ersten und zweiten Stock ist die Geschichte der Juden in Harbin dokumentiert. Man sollte hier allerdings keine chronologische oder thematische Ausstellung erwarten, es ist eher ein buntes Sammelsurium aus Fotografien vergangener Tage, späterer Besuche, Kopien einiger Dokumente und ein paar szenisch ausgestellten Artefakten. Das ganze zweisprachig chinesisch und englisch, wobei am Übersetzer ganz klar gespart wurde. Nicht jedes 同 steht für "homo". ;-)

 

 

Dass auch diese Ausstellung eine politische Botschaft transportieren soll, zeigt sich ganz gut darin, dass und wie man auch Bilder ehemaliger jüdischer Bewohner Harbins (oder deren Nachfahren) zusammen mit politischen Würdenträgern Chinas zeigt. Und auch der zum Zeitpunkt der Erstellung der Ausstellung wohl noch amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert ist beim Besuch des jüdischen Friedhofs zu sehen.

 

Im Museum treffe ich dann noch einen chinesischen Studenten, der sich mit mir unterhalten will. Er wollte ja eigentlich in die Sophienkathedrale, aber die wird ja bekanntermaßen renoviert. Dann kam er halt hierher. Er ist aus Henan, studiert in Changchun und macht gerade mit seinen Freunden einen Ausflug. Dass ich allein unterwegs bin, verwundert ihn etwas. Man muss doch besser mit seinen Freunden reisen. Wir machen ein Selfie zusammen, dann geht er weiter. Ich kaufe noch einen Kühlschrankmagneten mit Brot und Wurst drauf und gehe dann ebenfalls.

 

Auf der Zhonyanglu betrete ich schnell einen russischen Supermarkt. Eine Frau neben der Rolltreppe brüllt immer dann in ihr Megaphon, wenn jemand neben ihr steht oder an ihr vorbei geht. Oben gibt es Schokolade und massenhaft Alkoholika. Schokolade aus Russland ist hier irgendwie ein Verkaufsschlager. Es gibt sogar welche mit 100%, die mehr als nur eine Zutat hat. Mir ist Russland als Schokoladenland bis vor ein paar Wochen komplett unbekannt gewesen.

 

Ich habe Hunger und gehe zurück in die Straße mit den vielen Restaurants. Als ich durch das Fenster des einen blicke, kommt jemand heraus und fragt, was ich denn wolle. Essen. Ich soll reinkommen. Nagut, mache ich. Die Karte sieht gut aus, ich bestelle irgendein Gericht mit Tofu und trinke eine Cola. Der Mann will sich gern auch noch etwas mit mir unterhalten. Er hat für frühen Nachmittag schon ordentlich getankt. Ein anderer stellt fest, dass ich mit Stäbchen essen kann. Echt ein Hexenwerk. Eine Gabel hatte ich tatsächlich vor sechs Wochen das letzte Mal in der Hand. Das heißt auch, heute sind zwei Drittel meines Aufenthalts um, in drei Wochen bin ich wieder zu Hause. Ich nehme die Reste mit und gehe weiter.

 

 

Ich gehe über die kleine Fußgängerbrücke und betrete dann das sich dort befindende Kaufhaus. Im Erdgeschoss ist eine große Markthalle. Das ist ja immer besser als Fernsehen, weil man da so viel Schräges, Witziges und Leckeres zu sehen und zu kaufen bekommt. Ich nehme Blätterteigteilchen - Tausendschichtenkuchen (千层饼) - vom Blech für zwei Yuan zum Probieren mit. Vorsicht heiß! Entgegen meiner Befürchtung sind sie auch gar nicht süß. Seht gut.

 

Oberhalb der Markthalle ist ein großes Einkaufszentrum, diesmal scheinbar ohne Taekwondostudio, und unter der Markthalle erstrecken sich noch eine Fressmeile und ein Supermarkt. Ich gehe noch schnell in den Supermarkt, um meinen Wochenendeinkauf zu erledigen. Als ich schnell feststelle, dass ich doch ein Körbchen hätte mitnehmen sollen, gehe ich zum Eingang zurück. Die dort rumstehende Verkäuferin wedelt wild mit den Armen in der Luft herum, will aber scheinbar nichts zu mir sagen. Sie kommt wild wedelnd auf mich zu, während ich weiter in Richtung Ausgang gehe. Sie wedelt weiter, ich ignoriere sie, nehme mir einen Korb, drehe mich um und gehe zurück. Ihr Kollege lacht sich kaputt. Eine andere Verkäuferin empfiehlt mit Kaffeepulver mit Milchpulver und Zucker. Im Bierregal gibt‘s lauter deutsches Bier, von dem ich noch nie gehört habe. Mit dem Einkauf im Gepäck, ohne Kaffee und Bier, fahre ich heim.

 

Als wir vor der Universität nach rechts abbiegen kann man den aufgehenden Mond über dem Campus sehen. Bald rund, groß, rotorange. Ein junger Mann macht die neben ihm sitzende junge Frau freudenstrahlend darauf aufmerksam, und sie sehen ihn sich ganz verzückt an. Ich bin auch durchaus begeistert. Noch mehr von der Reaktion der beiden als vom Mond, um ehrlich zu sein.